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Rote Rosen für die Angeklagte Radosija T.

■ 47jährige Raumpflegerin wegen Totschlags ihres Ehemannes zu sieben Jahren Haft verurteilt / Verwandte des Getöteten prügeln auf Frauengruppen ein

Mit einer siebenjährigen Haftstrafe für die Angeklagte sowie ausgerissenen Haaren und Prügel für die Mitarbeiterinnen von Frauengruppen endete gestern der Prozeß gegen die 47jährige Raumpflegerin Radosija T. Für das Landgericht steht fest, daß die Serbin und Angehörige der Roma ihren 55jährigen Ehemann Ziko T. nach einem langjährigen Ehemartyrium aus Verzweiflung und dem Gefühl von Ausweglosigkeit erschossen hat. Der Staatsanwalt hatte zehn Jahre und die Verteidigerin vier Jahre Haft gefordert.

Das Urteil erging wegen versuchter Anstiftung zum Totschlag sowie vollendeten Totschlags. Bevor sie im August vergangenen Jahres in der gemeinsamen Wohnung in Gropiusstadt selbst zur Pistole gegriffen hatte, habe Radosija T. zweimal vergebens versucht, für 10.000 Mark einen Killer anzuheuern, sagte der Vorsitzende Wolfgang Hüller. Es sei aber von einem minder schweren Fall auszugehen, weil die Angeklagte von ihrem Mann in den letzten zehn Ehejahren schwer mißhandelt worden sei. Sie habe sich „Tag und Nacht für die Familie abgerackert“ und aus Angst vor Schlägen oft im Auto oder an ihrem Arbeitsplatz geschlafen. Am schlimmsten gedemütigt habe er sie jedoch dadurch, daß er mit jungen Polinnen zu Hause sexuell verkehrte: „Sie mußte zusehen, wie der Mann mit den Frauen ins Schlafzimmer verschwand.“

Radosija T. saß bei der Urteilsverkündung mit in die Hand gestütztem Kopf reglos da. Als sie danach leicht taumelnd auf die Tür zum Knast zuging, kamen aus dem Zuschauerraum plötzlich Sträuße roter Rosen geflogen. Sie kamen von den Mitarbeiterinnen von Frauengruppen, die der Angeklagten so ihr Mitgefühl und ihre Unterstützung bekunden wollten. Der Vorsitzende verbot ihr jedoch, die Rosen vom Boden aufzuheben und mitzunehmen.

Im Gegensatz zu den vorangangenen Verhandlungstagen hatte sich das Publikum im Zuschauerraum gewandelt. Statt der Verwandtschaft des Getöteten saßen dort Frauen in weißen, mit jeweils einem großen Buchstaben bemalten T-Shirts. Hintereinander gelesen, ergaben sie aus Richterperspektive den Satz: „Frauen gegen Männergewalt“. Sie seien mit dem Urteil nicht einverstanden, rief eine der Frauen: Nach allem, was vorgefallen sei, „hätte es zu einem Freispruch kommen müssen“.

Die Plätze im Saal hatten sich die Frauen hart erkämpft. Lange vor der Urteilsverkündung standen sie auf der Hintertreppe zum Zuschauereingang Schlange und erwehrten sich dort der Beschimpfungen und Tätlichkeiten der später kommenden, nach vorn drängelnden Verwandtschaft des Getöteten. Wie berichtet, hatte die Roma-Sippe, Männer wie Frauen, an den früheren Verhandlungstagen unmißverständlich Partei gegen die Angeklagte ergriffen. Eine Roma-Frau habe nicht schlecht über ihren toten Gatten zu sprechen. Die Aussage von Radosija T. über die Mißhandlungen hatten sie mit Hohngelächter und Türenschlagen kommentiert.

Daß es keinem und keiner der Verwandten gelungen war, beim Urteil in den Saal zu gelangen, zahlte die Sippe den Mitarbeiterinnen der Frauengruppen noch im Gerichtsgebäude vor den Augen untätig zusehender Justizbeamter heim. Roma-Frauen rissen den Frauenaktivistinnen ganze Haarbüschel aus, deren Männer traten und boxten besinnungslos in die Menge. Den Angegriffenen gelang es nur mit Mühe, Radosija T.s bedrohte Schwester – die als einzige noch zu der Angeklagten hält – vor den Tobenden in Sicherheit zu bringen und in ein Taxi zu setzen.

Die Verteidigerin Sabine Schrap berichtete der taz, ihre Mandantin sei sehr gerührt über die Aktion der Frauen gewesen: „Sie halten mehr zu mir als meine eigenen Landsleute“, habe sie unter Tränen gesagt. Plutonia Plarre

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