Dichterpräsident Ćosić abgesägt

■ Jugoslawisches Parlament setzt Staatsoberhaupt ab / Šešelj: „Der Präsident hat Ruf und Stabilität des Landes untergraben“ / Machtkampf mit Milošević verloren / Spannungen mit Montenegro absehbar

Belgrad (AP/taz) – Der jugoslawische Staatspräsident Dobrica Ćosić ist in der Nacht zum Dienstag nach knapp einjähriger Amtszeit gestürzt worden. Die beiden Kammern des Bundesparlaments in Belgrad befanden den intellektuellen Vordenker des serbischen Nationalismus in separaten Abstimmungen mehrheitlich für schuldig, gegen die Verfassung verstoßen zu haben. Die Abwahl kam auf Betreiben der ultranationalistischen „Radikalen Partei“ des Tschetnik-Führers Vojslav Šešelj zustande. Die Beschuldigungen von seiten der nationalistischen Ultras, die seit den Wahlen im Januar mit den Sozialisten des serbischen Präsidenten Slobodan Milošević die Republik Serbien in Koalition regieren, gelten als Vorwand, um den als gemäßigt empfundenen Staatschef zu stürzen.

Abgeordnete der Opposition im Parlamt der international nicht anerkannten „Bundesrepublik Jugoslawien“ vertraten die Ansicht, der Vorgang im Parlament sei der Höhepunkt eines Machtkampfs zwischen Ćosić und dem serbischen Präsidenten gewesen.

Politische Beobachter in Belgrad nehmen an, daß es jetzt zu neuen Spannungen zwischen den jugoslawischen Teilrepubliken Montenegro und Serbien kommen wird. Die montenegrinischen Abgeordneten hatten sich in der Debatte mehrheitlich hinter Ćosić gestellt und davor gewarnt, daß seine Abwahl einen Keil zwischen die beiden Republiken treiben könnte. In Montenegro, der kleineren der beiden in der jugoslawischen Föderation verbliebenen Republiken, wird zunehmend Unmut aufgrund der UNO-Sanktionen laut, die im Zusammenhang mit dem Krieg in Bosnien-Herzegowina gegen Jugoslawien verhängt wurden.

Gemäß der Verfassung soll der Sprecher des Oberhauses, Miloš Radulović, kommissarisch als Staatsoberhaupt fungieren, bis das Parlament einen Nachfolger für Ćosić gewählt hat. Der Schriftsteller war im Juni vergangenen Jahres Staatschef der „Bundesrepublik Jugoslawien“ geworden. Er gilt als Mentor der Bewegung zur Schaffung eines großserbischen Staates. Ursprünglich war Ćosić ein politischer Verbündeter des damals noch kommunistischen Präsidenten Slobodan Milošević gewesen. Durch die Unterstützung Ćosićs war es Milošević gelungen, große Teile des nationalen Lagers in der ehemaligen jugoslawischen Republik an sich zu binden.

Konkret wurde Ćosić bezichtigt, im vergangenen Jahr die Ernennung eines Ministerpräsidenten und verschiedener Richter am Obersten Gericht verschleppt zu haben. Die Beschuldigung gilt in Belgrad allgemein als Vorwand, um Ćosić aus dem Amt zu entfernen. Zudem wurde Ćosić von Rednern der Radikalen und der Sozialisten beschuldigt, bei geheimen Treffen mit Befehlshabern der jugoslawischen Streitkräfte versucht zu haben, die Armee unter seinen Einfluß zu bringen und Milošević zu entmachten.

Ćosić hat bei den Nationalisten auch deshalb Verärgerung ausgelöst, weil er die bosnischen Serben dazu drängte, den Genfer Friedensplan zu akzeptieren und damit den seit 14 Monaten anhaltenden Krieg in Bosnien zu beenden. Der Chef der Radikalen Partei, Vojslav Šešelj, sagte in der Debatte: „Der Präsident hat den Ruf und die Stabilität unseres Landes untergraben.“