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Laute Malereien

■ Konkrete Poesie oder „hervorbrechende Dichtung" und Klanginstallationen in der Weserburg

„Blocksatz“ — so ein lautmalerisch schönes Wort. Dagegen hat der Franzose Henri Chopin was. Nämlich seine „poesie eclatee — zu deutsch etwa: „hervorbrechende Dichtung“, die der Freiheit der Worte eine Bahn brechen soll. Alle Regelmaße der Typografie setzte Chopin in seiner Publikation „OU“ außer Kraft: Unlesbare Gedichte, zerfließende Sätze, flüchtende Buchstaben prägten das Erscheinungsbild.

Das heute legendäre Magazin fungierte ab Mitte der 60er Jahre als Kanal und zugleich Katalysator für die Ideen von SchriftstellerInnen und KünstlerInnen, die am Rande des Mainstreams mit Sprache und Klang, mit Tonfällen und -leitern experimentierten.

Jetzt brechen die Lautmaler über Bremen herein — im Institut Francais und im Neuen Museum Weserburg. Ab heute soll den BesucherInnen auf dem Teerhof das Hören und Sehen vergehen.

Seltsame, irritierende Klänge und Geräusche, von internationalen Künstlern installiert, begleiten den Weg ins Museum; dortselbst sind die wundersamen Wortspiele der „OU“-Künstler ausgestellt — leider nur in Vitrinen und hinter Glas. Bitte nicht umblättern! Die Multimedia- Konzeption soll zeigen, „daß das Museum nicht nur für Bilder in Skulpturen zuständig ist“. Sondern alle Ausdrucksformen der Kunst darstellen kann.

Ein Händchen für solche Sonderfälle der Kunstgeschichte hat Guy Schraenen, zur Zeit Gast- Kurator in Bremen. Aus seinem eigenen „Archive for Small Press & Communication“ in Antwerpen brachte Schraenen auch das Gros der Klangkunst- Schätze mit. Sämtliche Jahrgänge von „OU“ hat er gesammelt, komplett mit Schallfolien. Sein persönlicher Draht zu Henri Chopin ermöglichte es auch, den 71jährigen Künstler selbst nach Bremen zu holen. Heute abend von 19.30 bis 21 Uhr gibt Chopin eine Live-Performance, und zwar per Hörfunk, auf Radio Bremen 1 und 2.

Die schrägen Töne und Sprachkunststücke aus den 60ern und 70ern haben seither nichts von ihrer verstörenden Wirkung eingebüßt. Kaum zufällig, daß eine Performance- Künstlerin wie Laurie Anderson heute auf den reichen „OU“- Fundus zurückgreift: Dort nämlich hat Chopin erstmals William Burroughs'„Language is a virus“ gedruckt. Wo Sprache als Virus verstanden wird, infiziert das natürlich auch die Typografie. Burroughs' Worte ziehen wie DNA- Ketten über die Seiten, drehen und wenden sich gegen ihren Sinn, spalten sich auf und formen sich zu neuen Sätzen. Solch freier Umgang mit den Worten prägt viele Seiten in „OU“.

Aber die „Dichter der Klänge“ setzten auch die negative Kraft der Sprache ins Bild. 1969 erschien Paul-Armand Gettes Gedicht „Le Mur“: eine veritable Sprach-Barriere, bei der die Worte jeden Sinn verstellen. Ein Bild von zeitloser Gültigkeit — heute kommentiert es, treffender denn je, die Verdrehungen der Politiker-Sprache und die Bedeutungsleere der Informations-Fluten, die ebenso wortreich wie nichtssagend alltäglich über uns zusammenschlagen. Thomas Wolff

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