: Das Recht des Blutes ist längst unterhöhlt
Die rassistischen Morde von Solingen haben dazu geführt, daß sich die Union in der Frage einer Doppelstaatsangehörigkeit bewegt.
Die Front der Unionsparteien gegen die doppelte Staatsbürgerschaft bröckelt. Trotz des auch gestern wiederholten Neins aus der CSU scheinen erste Schritte für ein verändertes Staatsbürgerrecht nun, nach den Morden von Solingen, nicht mehr unwahrscheinlich. Schon seit Jahren wird gefordert, das achtzig Jahre alte deutsche Staatsbürgerrecht den wirklichen Verhältnissen anzupassen. Anders als bei den meisten europäischen Nachbarn gilt hier: deutsch ist, wer von Deutschen abstammt. Zwar ist dieses Ius sanguinis, das Recht des Blutes, auch hier in der Realität durch zahllose binationale Ehen unterhöhlt. Doch gegen den Grundsatz: deutsch ist, wer hier geboren wird, das Ius soli, sperren sich die Unionschristen bisher beharrlich und erfolgreich, zuletzt in den Verhandlungen um das Asylrecht. Zwar können lange hier lebende oder hier geborene Nichtdeutsche leichter eingebürgert werden, aber die deutsche Staatsbürgerschaft ist exklusiv. Wer deutscher Staatsbürger werden will, muß der angestammten Staatsbürgerschaft abschwören.
Während der Debatte um das Asylrecht waren die Forderung nach einer Reform des Staatsbürgerrechts wieder lauter geworden. Seit langem liegen entsprechende Gesetzentwürfe von Bündnis 90/Die Grünen vor, Herta Däubler-Gmelin brachte für die SPD im März einen entsprechenden Entwurf in die parlamentarischen Beratungen ein. Unmittelbar danach legte die Ausländerbeauftragte Cornelia Schmalz-Jacobsen (FDP) ihrerseits einen Vorschlag vor, dem sich die FDP-Fraktion mit kleinen Abstrichen anschloß. In der Union blieben Heiner Geißler, Manfred Rommel und andere jedoch in der Minderheit – trotz zaghafter und begrenzter Vorstöße auch aus dem Kreis der innenpolitischen Experten wie Johannes Gerster. Aus den Asylverhandlungen wurde berichtet, daß die CSU bis zur nächsten Landtagswahl in Bayern absolut unbeweglich bleiben wolle. Das bestätigte sich auch gestern: CSU-Generalsekretär Erwin Huber befürchtet bei mehreren Staatsangehörigkeiten nur „Durcheinander“; eine doppelte Staatsbürgerschaft diene nicht der Integration. Für Bayerns Innenstaatssekretär Günther Beckmann steht die Einbürgerung grundsätzlich am Ende, nicht am Anfang der Integration.
Cornelia Schmalz-Jacobsen und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (beide FDP) klagen nun mit Nachdruck beim Koalitionspartner Bewegung in dieser Frage ein. „Keine weitere zeitliche Verschiebung“ verlangt die Ausländerbeauftragte. „Der Konsens darüber wird breiter, daß wir aus der Ablehnung der doppelten Staatsbürgerschaft kein Dogma machen dürfen“, sagte der CDU-Politiker Horst Eylmann der Woche. Eylmann, in dieser Frage nie ein Hardliner, hat als Vorsitzender des Rechtsausschusses ein gewichtiges Wort.
Als positives Signal muß auch das Votum aus dem Kanzleramt gewertet werden. Ganz defensiv wandte sich Kanzleramtsminister Friedrich Bohl (CDU) zwar gegen übereilte Entscheidungen. In der zweiten Jahreshälfte, so kündigte Bohl gleichzeitig an, werde die Bundesregierung die Frage behandeln, „ob es in besonderen Fällen auch eine zeitlich befristete Doppelstaatsangehörigkeit gibt oder nicht.“ Eine auf fünf Jahre befristete Doppelstaatsbürgerschaft hatte Helmut Kohl kurz vor der Asylentscheidung des Bundestags überraschend vorgeschlagen. Nach dieser Frist müßten die Betroffenen sich für die eine oder andere entscheiden. Ignatz Bubis, Sprecher des Zentralrats der Juden in Deutschland, der seit langem in allen Parteien für ein neues Staatsbürgerrecht wirbt, wertet das als wichtigen Fortschritt. Wenn fünf Jahre die Erfahrung gemacht werde, daß die doppelte Staatsangehörigkeit etwas normales sei, werde sie sich auch unbefristet durchsetzen. Tissy Bruns, Bonn
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