: Von Schwarzen und Weißen
■ 16 KünstlerInnen thematisieren Identitäten im Forum Langenstraße
Von Schwarzen und Weißen
16 KünstlerInnen thematisieren Identitäten im Forum Langenstraße
Fünf schwarze Jugendliche blicken auf die BesucherInnen herab. Fragend. Zynisch. Resigniert. Überdimensional auf eine Plakatwand gebannt. Daß sie als Gruppe zunächst bedrohlich wirken könnten, ist Absicht. „What you lookn at?“ — dieses „wonach guckst Du“ bzw. „Worauf wartest, was erwartest Du“ prangt als Graffiti quer über ihnen. Wer näher kommt, sieht: Jeder ist für sich allein. Vergleichsweise winzige Kritzeleien ergänzen: „Am I typical?“ und „You don't know me at all“. Daneben, kaum sichtbar, ein Foto von Onkel Henry. Mit Jahreszahl. Die Plakatwand beherrscht den Eingang zum Forum Langenstraße. Das Motiv ist in der Stadt allgegenwärtig: Als Poster.
Es wirbt für eine Ausstellung: „Mistaken Identities“ — „Verkannte Identitäten“ wird die Übersetzung gleich mitgeliefert. Auch als falsch verstandene Identitäten ließe sich der Titel übersetzen. Und Identität ist das Thema der Ausstellung: die eigene und die der anderen, die selbstbestimmte und die von außen projizierte, die tradierte wie die, die sich im Laufe eines Lebens verinnerlicht und nach außen signalisiert: So bin ich. Heute, gestern, übermorgen. Und diese Identität ist veränderlich, ein Prozeß mit ungewissem Ausgang.
Minderheiten provozieren in dieser Ausstellung den Dialog mit der überwiegend weißen Mehrheit. 16 KünstlerInnen, vorwiegend aus den USA, sind ihr Sprachrohr. Sie arbeiten mit den Stilmitteln der Fotografie, des Films, der Alltags-und Werbesprache. Sie knüpfen an die Diskussionen zur Multikultur an und sie zeigen: So seht Ihr uns. Als Schwarze, als coulored people, als Menschen, die sich aufgrund irgendeines Merkmals von anderen unterscheiden.
Die Ausstellung ist in den Vereinigten Staaten entstanden. Viele ihrer Inhalte sind in Europa nicht ohne weiteres zu verstehen: Nicht nur, weil etliche Arbeiten mit englischsprachigen Texten arbeiten, deren Sprengkraft sich nur aus dem gesellschaftlichen Umfeld der Idioms erschließt. So wie die schwarze Frau zum Beispiel, Hähnchenschenkel in der Hand, „Black woman with Chicken“ unterschrieben. Ihre Haltung ist obszön — als ob sie mit dem Hühnerbein ihre zur Vulva geformte andere Hand penetrieren wollte. Der Titel spielt auch auf die Frage „Have you got chicken?“ — Hast Du Angst? an, auf die Lebenssituation schwarzer Frauen.
Dankenswerterweise werden im Forum Langenstraße einige Zusatzinformationen angeboten: ein einführendes Video am Eingang (M. Isenberg), ein Kurzführer, in dem Studentinnen der Uni- Bremen die 16 KünstlerInnen und deren Arbeiten interpretierend vorstellen. Neben den Arbeiten liegen Übersetzungen der Texte.
In einer Ecke hat Adrian Piper „Cornered“ installiert: einen Monitor mit Videorekorder, hinter einem umgestürzten Tisch verbarrikadiert — in die Enge getrieben, „cornered“ eben. Den laufenden Fernseher umrahmen zwei Geburtsurkunden ihres Vaters. Auf den ersten Blick völlig identisch unterscheiden sie sich in einer wesentlichen Aussage: der Angabe zur Hautfarbe, „White“ und „Octoroon“ (für schwarz).
Während „Mistaken Identities“ im Schutz eines Ausstellungsraumes gewohnte Sicht- und Denkweisen aufbricht, erfährt die Auseinandersetzung mit Fremdem in Deutschland eine dramatische Brutalität: In Mölln und Solingen verbrennen Menschen, weil sie Türken sind. Danach gibt es nur Trauer, Wut und Schweigen.
„Mistaken Identities“ entstand aus einem Prozeß der Auseinandersetzung. Können Künstler heute überhaupt noch politisch sein? Sind ihre Symbole, ihre Sprache nicht abgegriffen und verbraucht? Während die Kunst diese Frage stellt, demonstrieren auf dem Bremer Marktplatz Menschen mit Hungerstreik. Weil sie Türken sind. Birgitt Rambalski
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