: Gespaltene Persönlichkeit
20 Jahre Werkbund-Archiv: Gefeiert wird mit einem „Selbstportrait aus Gegenständen“ ■ Von Uta von Arnim
Mit verschlossenem Gesicht steht das Geburtstagskind stumm und steif zwischen den Gratulanten. Denen, die seinen zwanzigsten Geburtstag mit ihm genießen wollen, zeigt es die kalte Schulter.
Das Werkbund-Archiv möchte mit seiner Ausstellung „Selbstportrait aus Gegenständen“ 20 Jahre Arbeit dokumentieren. Doch statt einer bunten, vielschichtigen Persönlichkeit begegnet uns immer wieder das altbekannte Antlitz der Glasvitrine. Was aus dem Fundus des Werkbund-Archivs hier mehr zusammengestopft denn -gestellt ist, Kriegsspielzeug, DDR-Fähnchen, orange Plaste-Enten: sie haben einfach keinen Platz, um lebendig zu werden. Weggesperrt in diesen staub- und diebstahlsicheren Behältnissen, können Dinge und Betrachter nur schwer Kontakt miteinander aufnehmen. Das Selbstverständnis des Werkbund- Archivs als „Laboratorium für ein neues Modell kulturgeschichtlicher Museen“ wird in dieser Ausstellungspraxis aber nicht eingelöst.
Das Werkbund-Archiv entstand Anfang der siebziger Jahre mit dem Auftrag, Objekte und Dokumente aus der Geschichte des 1907 gegründeten Deutschen Werkbundes zu sammeln und auszustellen. In ihm hatte sich erstmalig eine Gruppe von Architekten und Künstlern zusammengeschlossen, die die Alltagskultur reformieren wollte. Sie setzte dem Stilmischmasch des Historismus neue, klare Formen entgegen. Die „Veredelung der gewerblichen Arbeit im Zusammenwirken von Kunst, Industrie und Handwerk“ sollte nicht nur einem veränderten Lebensgefühl Ausdruck verleihen, sondern auch Deutschlands industrieller Produktion wirtschaftlichen Erfolg sichern. Firmen wie AEG und Kaffee Hag ließen sich von der Kaffeekanne bis zum Ventilator alle Produkte, Verpackungen und Plakate von Künstlern gestalten.
In der Zeit der Studentenbewegung entstand ein neues Interesse an Alltagsdingen vergangener Zeiten: Es wurde Mode, Plüschsessel und Nierentische, Volksempfänger und Eichentruhen aus dem Sperrmüll zu ziehen und die Dinge durch eine ungewohnte Zusammenstellung wiederzubeleben. Das Werkbund-Archiv begann, „die Grundlagen der ästhetischen Kultur im 20. Jahrhundert, insbesondere der Alltagskultur breiterer Volksmassen“, zu erforschen und nannte sich im Untertitel „Museum der Alltagskultur des zwanzigsten Jahrhunderts“.
Das Museum ist, wie Geschäftsführer Eckart Siepmann betont, „keine klassische Design-Institution“. Es tut sich schwer mit seiner „Doppelgleisigkeit“, die aus zwei unterschiedlichen Auffassungen der Alltagskultur hervorging: aus der Reformbewegung des Werkbunds einerseits, der in pädagogischer Absicht die „gute Form“ im Alltag durchsetzen wollte, und andererseits aus dem Verständnis von Alltagskultur als Ausdruck von Umbrüchen und Strömungen innerhalb bestimmter Epochen.
So trägt das „Selbstportrait aus Gegenständen“ folgerichtig das Gesicht einer gespaltenen Persönlichkeit. Ein Raum zeigt ausschließlich Entwürfe der Werkbund-Künstler, während die anderen drei ein buntes Sammelsurium alltäglicher Gebrauchsgegenstände aus dem Fundus, Plakate eigener Ausstellungen und den Versuch einer Multimediashow beherbergen. Eine Texttafel am Eingang verkündet selbstbewußt: „Wenn wir ausstellen, genügt uns weder das Vorzeigen von Gegenständen noch das Erzählen von Geschichten.“ Statt dessen erläutern Kärtchen in den Vitrinen dem Besucher, was er von den Dingen zu halten hat. Unter einem Paar gestärkter weißer Manschetten wird bedauert, daß die Menschen damals glaubten, „das Leben müsse so sein. Wir aber wissen es heute besser.“ Gedruckte Mutmaßungen über die Entstehung eines Schnapsflaschenetuis aus einer Pistolentasche oder die Deutung des Wahlspruchs „Ich will“ in einem Holzrähmchen machen die Dinge vollends mundtot.
Die Vitrinen geben einen kleinen Einblick in die Sammelleidenschaft des Museums: Unter dem Titel „Surrogat“ vereinen sich kunstvolle Imitate von Elfenbein- und Holzschnitzereien, aus dem „Nachlaß“ der DDR rettete das Institut die Gipsköpfe Marx' und Lenins vor der Liquidation. Die Entwürfe der Werkbundkünstler bleiben weitgehend unkommentiert, wer Henry van de Velde oder Richard Riemerschmid waren, muß der Betrachter schon selber wissen. Van de Veldes Möbel und Porzellan haben schwingende Linien, dem Jugendstil verwandt, doch ohne dessen ornamentale Schnörkel. War er noch dem Entwurf handwerklich gefertigter Einzelstücke verpflichtet, entwarf Peter Behrens Gebrauchsgegenstände für die industrielle Massenproduktion, wie die eigens für AEG entwickelten Tischventilatoren und elektrischen Wasserkessel.
Als Tribut an die heutige visuelle Welt dürfen Diaprojektoren im Halbdunkel eines riesigen Raumes kosmische Bilder werfen. Schwärmerische Aphorismen von Novalis erscheinen an der Wand, der Schattenriß eines Männchens tanzt auf Saturns Ring, der Mann im Mond zeigt sich im Video. Daß weder das additive Nebeneinanderstellen von Kunstwerken noch die naturalistische Inszenierung historischer Ensembles zu einer prickelnden Ausstellung führen, wie der Katalog treffend bemerkt, ist ja sicher richtig. Ob aber ausgerechnet ein Dia des Saturn „ein planetarisches Bewußtsein vorbereitet“ (Katalog), bleibt fragwürdig.
Eine Idee dessen, wie ein Museum Alltagskultur spannend ausstellen kann, indem es die Gegenstände erzählen läßt, gibt Van de Veldes Zugabteil. Eine einfache, abgewetzte Holzbank, deren Rückenlehne in leichtem Schwung so hochgezogen ist, daß sie gleichzeitig das nächste Abteil abtrennt, eine Gepäckablage mit grauem Hut, eine runde Wandlampe; alles an einer schrägen weißen Stellwand angebracht. Die leeren Sitze brauchen keine Musik, kein Video, keinen Text, keinen Rahmen und keine Vitrine.
Die Ausstellung ist noch bis 25. Juli im Martin-Gropius-Bau, Stresemannstraße110 in Kreuzberg zu sehen. Der Katalog kostet 30DM.
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