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■ ÖkolumneWer schreibt die Rezepte? Von Thilo Bode

Unlängst sah es so aus, als seien die Umweltverbände ihrem hehren Ziel, sich selbst überflüssig zu machen, ein gutes Stück nähergekommen. Nicht nur ihr potentieller Gegner, die Industrie, sondern auch die politischen Parteien hatten die Umweltzerstörung als für die Menschheit fundamentales Thema entdeckt.

„Eine Korrektur bisheriger Wohlstands- und Wachstumsvorstellungen ist unverzichtbar; die Industrieländer müssen ihren Energie- und Ressourcenverbrauch sowie die damit verbundenen Umweltbelastungen drastisch senken. Anders leben, damit wir alle überleben.“ Dies sind nicht Leitsätze aus einem Programm der Grünen oder eines Umweltverbandes, sondern sie sind nachzulesen in einem Papier der CDU aus dem Jahr 1992.

Ähnliches findet sich bei den anderen Parteien; in der Analyse der Problemlage besteht seltene Einigkeit – zunächst einmal ein positiver Tatbestand. Demgegenüber klafft die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Klopft man die umweltpolitischen LeitsätzeFoto: H. G. Gaul

der Parteien auf ihre Umsetzung ab, ergibt sich ein Bild der Trostlosigkeit: es fehlen, und zwar bei allen Parteien, die konkreten Maßnahmen, die kontinuierlich, langfristig und zielgerichtet zu diesem „Andersleben“ führen.

Kurz und gut – es fehlt der Ausstiegsfahrplan aus der Verschwendungsgesellschaft, der Einstieg in eine intelligente Nutzung von Energie, die Vermeidung von Verkehr und eine abfallarme, giftfreie Industrieproduktion. Die programmatischen Vorschläge bleiben nebulös, widersprüchlich und kurzatmig.

Besonders schwer tun sich CDU und FDP, die ihren Unternehmerfreunden erst gar keine konkreten Vorschläge zur Korrektur der „Wohlstands- und Wachstumsvorstellungen“ zumuten wollen, sondern sich pauschal auf das Prinzip marktwirtschaftlicher Steuerung im Umweltschutz berufen (und in der Praxis das Gegenteil betreiben, nämlich eine absurde Bürokratisierung der Umweltgesetzgebung).

Anders, aber gleichwohl fatal, geht die SPD vor der Gewerkschaftslobby in die Knie. An einer klaren Aussage zu einer Benzinpreiserhöhung drückt sie sich vorbei und das Aufkommen einer Energiesteuer will sie „für die Stützung und ökologische Umstrukturierung der heimischen Steinkohle“ verwenden – also die verbrämte Dauersubventionierung der Kumpel –, ein nicht nur ökologischer, sondern auch volkswirtschaftlicher Unsinn.

Die Grünen schließlich haben bisher außer einer Benzinverteuerung um eine Mark auch nur ein aus einer Energiesteuer finanziertes staatliches Investitionsprogramm zu bieten, vornehmlich zur „Finanzierung von Umweltschäden und ökologischen Strukturreformen“ in den neuen Bundesländern. Was immer das auch heißen mag. Auch das reicht nicht aus, denn angesagt ist der langfristig vorausgeplante Strukturwandel hin zu einer ökologisch verträglichen Wirtschaftsweise.

Die Frage, die sich in dieser Situation für die Umweltverbände stellt, ist: Können oder müssen sie dieses politische Vakuum füllen, müssen sie es sein, die ausgehend von der gemeinsam akzeptierten Problemlage die Rezepte liefern?

Es sieht so aus, als müßten sie es – wenn auch nicht im Detail, aber doch konkreter, langfristiger und stimmiger als das, was heute die politischen Parteien servieren.

Spätestens im Jahr der Bundestagswahl werden die Umweltverbände mit dieser Herausforderung konfrontiert werden, wenn es darum geht, das umweltpolitische Defizit der Parteien konstruktiv aufzudecken. Dabei wird es nicht leicht sein, die Balance zwischen Detaildiskussion und schlüssigem, langfristigem Gesamtkonzept zu halten. Doch angesichts des Politikversagens sind die Umweltverbände wichtiger denn je. Nicht nur als Protestveranstaltung.

Dr. Thilo Bode ist diplomierter Volkswirt und seit 1989 Geschäftsführer von Greenpeace Deutschland. Bode war zehn Jahre in der Entwicklungspolitik tätig und vor seinem Wechsel zu Greenpeace in leitender Stellung in einem mittelständischen Industriekonzern beschäftigt.

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