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„Mit Kerzen anzünden ist es nicht mehr getan.“

Kaum waren die Solinger Opfer beerdigt, kam es erneut, diesmal in Hattingen und Konstanz, zu Brandanschlägen.

Nur eine Woche nach dem fünffachen Mord in Solingen folgte in der Nacht zum Samstag in der knapp 30 km von Solingen entfernt gelegenen Kleinstadt Hattingen der nächste heimtückische Brandanschlag. Diesmal entkamen eine 32jährige türkische Frau und ihre fünf Kinder im Alter von 2 bis 14 Jahren in letzter Minute dem Flammentod. Gerettet hat sie der dreijährige Sohn, der aufwachte und seine Mutter weckte. Die schaffte es dann, mit allen Kindern aus der brennenden Wohnung zu entkommen.

Als der Junge seine Mutter weckte, war der Täter offenbar noch im Haus. Sie habe „schemenhaft“ einen jüngeren Mann gesehen, den sie gegenüber der Polizei als blond, mit einem kurzen, modernen Haarschnitt beschrieb. Anschließend hörte die Türkin ein startendes Motorrad.

Bis gestern hatte die Polizei noch keinerlei Hinweise auf Täter oder Tatmotive. Im Erdgeschoß des zweistöckigen Hauses sind nach Angaben der Polizei fünf Brandherde gefunden worden. Brandbeschleuniger wie etwa Benzin seien offenbar nicht eingesetzt worden.

Der Vater der Familie arbeitete zur Zeit des Anschlages auf Nachtschicht bei Thyssen in Duisburg. Bis zur Schließung der Hattinger Henrichshütte war der seit 1970 in Hattingen lebende Mann auf der direkt gegenüber dem Wohnhaus liegenden Thyssenhütte beschäftigt. Schon sein Vater arbeitete hier. In dem völlig ausgebrannten Veba-Haus lebte die jetzt bei Verwandten untergekommene Familie zusammen mit den Eltern des Familienvaters. Die beiden alten Leute befinden sich zur Zeit im Urlaub in der Türkei. In der von vielen Eisenbahnern bewohnten Arbeitersiedlung war das Verhältnis zwischen Türken und Deutschen nach Aussage der deutschen Nachbarn „einwandfrei“. Da „war nie etwas“, sagte ein pensionierter Bundesbahner, der seinen Namen aus Angst vor den Tätern nicht nennen wollte. „Wenn die den lesen, sagen die sich vielleicht, wat der – und dann macht es bei mir Wum“.

Mit „Nazis Raus“-Rufen waren am Samstag einige Dutzend Türken zu dem Haus gezogen. Das hat die deutschen Nachbarn geärgert: „Is ja keiner hier. Ein paar Kommunisten haben wir in der Siedlung, aber keine Nazis.“ Daß die Türken dann auch noch eine türkische Fahne am Haus hinterließen, fanden sie „gar nicht gut. Das provoziert doch nur“.

Ebenfalls am Samstag, gegen 5.30 Uhr morgens, brach in einem türkischen Restaurant in der Innenstadt des süddeutschen Konstanz ein Brand aus. Die von Anwohnern sofort informierte Feuerwehr konnte das Feuer schnell löschen. „Es hätte schlimmer kommen können“, so ein Feuerwehrmann. Das türkische Lokal brannte vollständig aus, glücklicherweise kamen keine Menschen zu Schaden, die Hausbewohner waren über das Wochenende verreist. Der türkische Gastwirt, der seit 30 Jahren in Konstanz lebt, reagierte fassungslos: „Meine Gäste sind überwiegend Deutsche und in dem Haus wohnen fast nur deutsche Studenten.“ Er warnt vor Überreaktionen: „Schlimm ist das, aber die Deutschen sind meine Freunde.“

Anwohner hörten ein Fensterklirren, dann soll es eine Stichflamme gegeben haben, und das Lokal stand sofort in Flammen. Etwa 50 Meter vom Tatort entfernt weist die Türe eines anderen türkischen Lokals ebenfalls Brandspuren auf. Dort wurde in der gleichen Nacht ein Plakat abgebrannt, das wegen der Morde in Solingen zu einer Demonstration in Sigmaringen aufgerufen hatte.

Nach Ansicht der LKA-Sachverständigen handelt es sich bei dem Brand um einen „gezielten Brandanschlag mit wahrscheinlich rechtsextremistischem Hintergrund“. Für Hinweise, die zur Aufklärung der Tat führen, hat die Staatsanwaltschaft Konstanz eine Belohnung von 3.000 Mark ausgesetzt. Eine Sonderkommission des LKA hat die Ermittlungen übernommen. Am späten Samstag nachmittag erschien der baden- württembergische Innenminister Frieder Birzele (SPD) am Brandort. „Wer geglaubt hat“, so Birzele in einer ersten Stellungnahme, „daß derartiges nach der Asylrechtsänderung nicht mehr vorkommt, hat sich leider getäuscht.“ In Teilen der Bevölkerung herrsche „eine fremdenfeindliche Stimmungslage“. Jetzt seien „Polizei und Justiz gefordert“, außerdem werde der Objektschutz für potentielle Angriffsziele verstärkt.

Am Samstag abend versammelten sich rund 2.000 Bürgerinnen und Bürger in der Konstanzer Innenstadt und protestierten gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit. Im Anschluß daran wurde über mehrere Stunden die Rheinbrücke besetzt. Die Veranstaltung verlief ohne größere Zwischenfälle. Dennoch herrscht Angst. Ein türkischer Kneipenbesitzer: „Es kann jederzeit einen anderen von uns treffen, wir hoffen aber auf die Solidarität unserer deutschen Freunde.“ Und etwas nachdenklich fügt er hinzu: „Mit Kerzen anzünden ist es wohl nicht mehr getan.“ Walter Jakobs, Hattingen/ Holger Reile, Konstanz

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