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Kleines abgeschlossenes Universum

■ Auf der Leipziger Buchmesse, die im Jahre drei des Kapitalismus wieder auf Intimität setzte, kamen sich verschwitzte LeserInnen und AutorInnen näher

Beschwörend waren die Worte, die Dr. Cornelia Wohlfarth, Vorsitzende der Geschäftsführung der Messe-GmbH auf der Eröffnungspressekonferenz gefunden hatte: „Die Buchstadt Leipzig lebt – nicht nur in den Köpfen der Einwohner“, meinte sie, so als wäre die sächsische Metropole in Gefahr, sich in virtuelle Räume davonzustehlen. Die MacherInnen traten defensiv auf. Scheinbar übermächtig drohte die zehnmal größere Frankfurter Buchmesse im Rücken. Daß die sich wegen diverser Lizenzgeschäfte vor allem für die großen Belletristikverlage kommerziell eher lohne, schien ausgemachte Sache zu sein. So setzte man in Leipzig, wie schon in den zwei kapitalistischen Jahren zuvor, auf den Vorteil größerer Intimität und aufs gesprochene Autorenwort, das auf zweihundert Veranstaltungen dem Leser begegnen wollte.

Der Termin zwischen Frühjahrs- und Herbstsortiment war zwar denkbar ungünstig gewählt, dennoch hatten sich 806 Aussteller aus 23 Ländern nebst diversen Schriftstellern aufgemacht, die kleinere doch zumindest zu einer „notwendigen Buchmesse“ zu machen. Manche schienen eher unwirsch wie Marcel Reich-Ranicki, der auf die Frage nach Buchmessen im allgemeinen ein „Ich habe es nicht nötig, zur Messe zu gehen. Mir schickt man die Bücher ins Haus“ herausbellte und die Frage nach Leipzig und Frankfurt mit einem „Weiß ich nicht. Interessiert mich nicht“ auskonterte. Andere dagegen, wie die „Rotbuch“-Verleger, fanden, daß die Frankfurter Messe demnächst nach Leipzig verlegt werden müßte. Die Messe solle sich ganz dem Publikum öffnen, auf Eintrittsgelder verzichten oder zur reinen Verkaufsmesse werden. Übrigens: „Bei uns darf auch geklaut werden.“

West und Ost und Ost und West: Das waren natürlich die bestimmenden Themen. Viele „Westler“ beklagten die Verteuerung und Yuppiesierung der Leipziger Innenstadt, die unter anderem dazu führte, daß kleine Verlagsfußballfangruppen am Samstagnachmittag verzweifelt (und vergeblich) ein Lokal mit laufendem Bundesligafernseher suchten. Viele „Ostler“ meinten, Geld werde nur im Westen verdient, obgleich sich der Handel nach dem Mauereinbruch wieder ein wenig erholt hat und die Bürger der ehemaligen DDR nicht nur wieder mehr lesen als ihre westdeutschen Landsleute, sondern „trotz geringeren Einkommens für Bücher durchschnittlich genausoviel ausgeben wie die Westdeutschen.“ Das sei ein „sensationelles“ Umfrageergebnis“, fand Gerhard Kurtze vom Börsenverein des deutschen Buchhandels.

Die Buchmesse ist ein kleines abgeschlossenes Universum, in dem bald jedem Besucher der Schweiß von der Stirne tropft. Die Klimaanlage sei ausgefallen, meinte erklärend ein Messemitarbeiter. So trinkt man an den Ständen immer offener. Zunächst Kaffee; dann Sekt und Bier, während kleine Kinder unentwegt nach Werbeaufklebern grabschen.

„Ein Schwitzbad“, nannte Jörg Drews die hochkarätig besetzte Veranstaltung, auf der es um Tendenzen der russischen Gegenwartsliteratur ging. Etwas seltsam und sehr begeisternd ging es zwischen den russischen Stars Andrei Bitow, Jewgeni Popow, dem mönchisch weisen Andrei Sinjawski und Viktor Jerofejew um Schuld und Sühne, Dekadenz und Verantwortung. Ein bißchen meinte man, bei den gut besuchten russischen und polnischen Grundsatzveranstaltungen sich irgendwo Ende des 19. Jahrhunderts zu befinden.

Um die Stasi ging's dieses Mal nur am Rande. Nur kurz schaute man in die „Akte Christa Wolf“ (die Autorin war derweil in Amerika), um sich dann, angesichts des hetzerischen Titels eines ansonsten doch auf sein liberales Renommee bedachten Verlags, schleunigst abzuwenden: Weshalb ein Buch über Ibrahim Böhme ausgerechnet „Genosse Judas“ heißen mußte, war dabei wahlweise schleierhaft oder nur allzu deutlich. Lutz Rathenow war übrigens nicht anwesend. Dafür gab es einen eiskalten Verriß über sein Lebenswerk in der Literaturbeilage der FAZ, die ihm vor anderthalb Jahren noch seitenweise Unterschlupf gewährte. Die Stasi, so heißt es da, hätte die DDR-Lesungen des „Autors ohne Werk“ teilweise selber organisiert und ihn – „wie seine umfangreiche Akte belegt“ – ohnehin „am langen Arm“ laufen lassen. Nur „billige Oppositionsgaukelei „sei sein im „Maulwurf“-Verlag erschienenes Frühwerk.

Publikumsfreundlicher als Frankfurt ist Leipzig sicherlich. Auf den zweihundert meist sehr gut besuchten Veranstaltungen fanden die Wörter zum Leser. Manche waren dabei recht seltsam. Die Lesung des zum Islam konvertierten Ex-Hippies und hessischen VS-Vorsitzenden Hadayatullah Hübsch zum Beispiel. Nur drei, allerdings recht interessierte Besucher saßen auf zwei Sofas in der Ahmadiyya-Muslim-Gemeinde, um seinen autobiographischen Bericht zu vernehmen. Unter anderem erfuhren sie, daß es Hadayatullah Hübsch war, der die Berliner K1 damals zum Drogenkonsum verführte.

Auf dem Marktplatz vor den Messehallen vergrub der Klein- und Einzelbuchverleger August Hoffmann, unterstützt von zwei hilfreichen Arbeitern, sein Buch im Kopfsteinpflaster. Einen sehr schönen Abend lang präsentierte Gerhard Wolf seine Janus-Press-DichterInnen. Gabriele Stötzer war gerade deshalb gut, weil sie einige Kitschpeinlichkeiten sehr bewußt, fast rührend einsetzte, die sorbische Schriftststellerin Roza Domascyna beeindruckte durch ihre Souveränität, und Bert Papenfuß verabschiedete sich gutgelaunt von allzu hergeholten Sprachspielchen.

Zuweilen jedoch dominierten bei den Leipziger Lesungen auch grenzenlose Eitelkeiten. Die OrganisatorInnen („Deutschlandfunk“) einer abendlichen Lesung des Berliner Dichters Durs Grünbein zum Beispiel entblödeten sich nicht, dem Dichter diverse stipendiatierende Claqueure an die Seite zu stellen, die unentwegt das interessante und „vielschichtige“ Werk des Dichters lobten, als sollte der schleunigst die Nachfolge des abgeschossenen Prenzlauer-Berg- Dichters Sascha Anderson antreten. „Eine ungeheure Zeile!“ jubelte da der sächsische Heimatdichter Thomas Rosenlöcher, und der „Dichter Durs Grünbein“ ließe sich nicht „rubrifizieren“, allgemeinplatzte es ununterbrochen aus dem braungebrannten Gesicht des Moderators.

Mit viel Appetit machte sich währenddessen der sensible Dichter, der sich ständig vom Kneipentreiben im Hintergrund beim weihevollen Lesen gestört fühlte, über den „Mutterkuchen“ her; auch „Jünglinge“ tauchen auf mit gehörigem Pathos. Hernach erklärte er alles, damit's auch jeder kapierte, und zerstörte damit das, was gut gewesen war. Die kleinen Nekrologe, die in Reimform gebrachten Kurztodesmeldungen der faits divers verschiedener Länder zum Beispiel: Gelegenheitsgedichte? – Nein! Hier empört sich der Dichter, der sich wie Rainald Goetz jeden Mittwoch die FAZ wegen der Wissenschaftsseite kauft. Literatur buchstabierte sich hier mindestens mit fünf „U“.

Rainald Goetz übrigens war nicht gekommen. Dafür wartete seine langerwartete cirka dreitausendseitige „Festung“ seit Leipzig auf mutige LeserInnen. Am Ende der Messe sangen fünfzehn „Fischer“-Verlagsleute glücklich „Auf der Reeperbahn nachts um halb eins“. In einer anderen Ecke der Stadt gab es derweil ein bißchen Rabatz: Eine von der neurechten Jungen Freiheit organisierte Veranstaltung wurde in kurzen dreieinhalb Minuten von autonomen Genossen nachhaltig gesprengt. Detlef Kuhlbrodt

Die Leipziger Buchmesse findet nächstes Jahr wieder im März statt.

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