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Ratlose Liberale und ein konfuser Chef

Ab Freitag wird der FDP-Parteitag in Münster über Konsequenzen aus Solingen und den großen Lauschangriff beraten / Klaus Kinkels Wahl zum Parteichef gilt als sicher  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Es ist eine Politshow in den Zeiten der Ratlosigkeit. Wenn sich am Freitag in Münster 662 FDP-Delegierte zu einem dreitägigen Parteitag versammeln, dann sind unter ihnen viele, die angesichts der ausländerfeindlichen Terrorwelle in Deutschland das „dringende Bedürfnis“ verspüren, „Zeichen zu setzen“. So sagt es der Innenpolitiker Burkhard Hirsch. Aber er könnte auch der Berliner FDP- Vorsitzenden Carola von Braun zustimmen, die zur Zeit mehr „Nachdenklichkeit“ verspürt als irgend etwas sonst.

Von Braun und Hirsch, beide vom kleinen linksliberalen Flügel in der FDP, sind sich durchaus darüber einig, was rasch getan werden könnte, um wenigstens ein „Signal“ zu setzen. Die doppelte Staatsbürgerschaft gehört sowieso dazu, aber auch ein Rechtsanspruch auf Einbürgerung für jeden, der in zweiter oder dritter Generation in Deutschland geboren wurde. Von Braun und Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wollen außerdem ein Einwanderungsgesetz. Viele Befürworter hat in der FDP inzwischen auch das kommunale Wahlrecht für alle diejenigen Ausländer, die einen gesicherten Aufenthaltsstatus in der Bundesrepublik haben.

Hirsch scheut aber auch nicht davor zurück, gewalttätige türkische Politaktivisten zu warnen, „ihre Bürgerkriege bei uns zu führen“.

Eilig hatte die Parteiführung noch am Montag Hirsch dem liberalkonservativen hessischen FDP- Chef Wolfgang Gerhardt den Auftrag erteilt, zusammen mit Hirsch und der Ausländerbeauftragten Cornelia Schmalz-Jacobsen einen Leitantrag für den Parteitag zu formulieren, der diese Fragen aufgreifen soll. Wieviel von den scheinbar so einfachen ausländerrechtlichen Forderungen in diesen Antrag aufgenommen wird, ist dabei durchaus offen.

Das ist weniger der Ratlosigkeit zuzuschreiben, die die FDP mit der ganzen Republik teilt, sondern eher Ausdruck der speziellen Misere der FDP: sie hat sich einstweilen auf Gedeih und Verderb an die Koalition mit der Union gekettet. Das kommunale Wahlrecht zum Beispiel „ist ein Thema, das mit der Union nicht zu machen ist“, vermuten manche Freidemokraten. Deshalb werde sich dagegen auch in der FDP Widerspruch regen.

Hinzu kommt: Vor allem in den ostdeutschen Landesverbänden formiert sich ein nationalliberaler Flügel. Gleich zwei Landesvorsitzende, die von Thüringen und Sachsen, werden ihm zugerechnet. Andreas Kniepert, der thüringische FDP-Chef, entschloß sich erst kurz vor dem Parteitag, in Münster nicht gegen seinen ostdeutschen Landsmann, Bundesbildungsminister Rainer Ortleb, für einen Posten als Vize-Parteivorsitzender anzutreten.

Sicher ist, daß der Parteitag am Freitag abend Klaus Kinkel mit großer Mehrheit zum neuen Parteivorsitzenden wählen wird. Aber auch Kinkel hat bisher wenig dazu beigetragen, der Ratlosigkeit nach Solingen, Hattingen und Frankfurt abzuhelfen. Lehnte er noch unmittelbar nach dem Solinger Attentat die rasche Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft ab, schwenkte der Parteichef in spe wenige Tage später radikal um. Nach seiner Türkeireise schrieb er sich auch das kommunale Wahlrecht auf die Fahnen, nahm aber am Samstag in Leverkusen vor der nordrhein-westfälischen FDP diesem Vorstoß wieder die Spitze. Dafür, so Kinkel resignierend, sei die Partei wohl noch nicht reif.

Der Außenminister spricht häufig von der „Führung“, die er als Parteichef geben wolle. Geradlinigkeit verkauft er als sein Markenzeichen. Viele seiner Parteifreunde macht Kinkel eher konfus. Sie erinnern sich daran, wie er im Streit um die Awacs-Flüge die FDP-Führung zuerst auf einen harten Kurs einschwor, sich dann aber wenige Tage später auf eine abenteuerliche Idee seines Fraktionschefs Hermann Otto Solms einließ: mit einer Klage gegen die eigene Bundesregierung doch noch den Koalitionsfrieden zu retten.

Noch schwerer im Magen liegt vielen der von Kinkel mit ausgehandelte Koalitionskompromiß zur Pflegeversicherung. Die Jungen Liberalen werden in Münster dazu einen Mißbilligungsantrag einbringen, der gute Chancen hat, angenommen zu werden.

Schon als das FDP-Präsidium am Montag über die Pflegeversicherung beraten habe, habe es „keinen gegeben, der dafür geredet hätte“, erinnert sich ein Teilnehmer. Aber man habe Kinkel nicht beschädigen wollen und deshalb am Ende eben doch mit dem Kopf genickt.

Liberale Standhaftigkeit machte der Bundesaußenminister in letzter Zeit alleine am Nein seiner Partei zum „großen Lauschangriff“ fest. Damit wird er sich auf dem Münsteraner Parteitag wohl auch durchsetzen, obwohl einige Mitglieder an diesem Punkt „ganz harte Debatten“ erwarten. Dennoch müssen die Freidemokraten immer häufiger die Frage beantworten, wer eigentlich in der Nachfolge des scheidenden Parteichefs Otto Graf Lambsdorff für das eigenständige Profil der FDP sorgen soll. Steht doch künftig neben dem habituell unionsfreundlichen Fraktionschef Hermann Otto Solms mit Klaus Kinkel noch ein Mann an der Parteispitze, den viele für konfliktunfähig halten.

Rasch könnte es da dem Außenseiter Jürgen Möllemann zufallen, die Rolle des liberalen Mahners ganz alleine zu übernehmen. Möllemann profiliere sich zur Zeit als „liberaler Fundi“, meint JuLi-Chef Ralph Lange. Er sieht in dem zurückgetretenen Wirtschaftsminister heute schon den geborenen Oppositionsführer, falls die FDP nach den Wahlen die Regierungsbank verlassen sollte. Kinkel sei zwar durchaus „ein Glücksfall“ für die Partei – aber halt auch „eher ein präsidialer Typ“.

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