: Rechte Gewalt reißt nicht ab
■ Allein in Nordrhein-Westfalen gab es 70 fremdenfeindliche Straftaten seit den Morden in Solingen / Seiters fordert Strafverschärfungen / Haftbefehle wegen Brandanschlags auf Wohncontainer
Berlin (dpa/taz) – Seit dem mörderischen Brandanschlag am Pfingstsamstag in Solingen sind allein in Nordrhein-Westfalen mehr als 70 fremdenfeindliche Straftaten registriert worden. Auch am Mittwoch gab es wieder Anschläge in ganz Deutschland.
In einem als Asylbewerberheim genutzten Kinderkrankenhaus in Freiburg wurde gegen 04.00 Uhr morgens ein Feuer von Anwohnern entdeckt. Dabei brannte die Küche im Erdgeschoß völlig aus. Die 111 Bewohner des Heimes aus zwölf Nationen konnten sich ohne Panik auf die Straße begeben. Es wurde niemand verletzt. Exakt zur selben Zeit brannte auf dem Flugplatz am Stadtrand das Auto eines Asylbewerbers aus.
Ein Anschlag auf einen von mehreren Aussiedler-Familien bewohnten Wohncontainer im niederrheinischen Kamp-Lintfort ist offenbar aufgeklärt. Wegen versuchten Mordes beantragte die zuständige Staatsanwaltschaft Moers gestern Haftbefehl gegen drei junge Männer. Sie werden verdächtigt, am vergangenen Freitag einen selbstgebastelten Brandsatz auf den Container geworfen zu haben. Nur „durch Zufall“ sei keiner der rund 25 Aussiedler verletzt worden.
In Saalfeld (Thüringen) hat ein Unbekannter einem Kind gedroht, es anzuzünden. Wie die Polizei in Erfurt mitteilte, ereignete sich der Vorfall bereits am Montag. Der Mann habe den sechsjährigen Jungen aufgrund seines südländischen Teints wahrscheinlich für einen Ausländer gehalten. Die Eltern erstatteten Anzeige
Eine Brandstiftung am frühen Mittwoch in einem Asylbewerberheim im niederrheinischen Wachtendonk (Kreis Kleve) geht dagegen offenbar nicht auf das Konto rechtsradikaler Täter. Die Staatsanwaltschaft erklärte in Kleve, die Untersuchungen sprächen deutlich dafür, daß der Anschlag nicht von Rechtsradikalen begangen worden sei. Unbekannte hatten auf dem Dachboden des Hauses Matratzen in Brand gesteckt. Die durch einen Nachbarn alarmierte Feuerwehr konnte das Feuer löschen. Die rund 50 BewohnerInnen des Hauses kamen mit dem Schrecken davon.
Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) plädierte unterdessen erneut für eine Verschärfung des Strafrechts. Im CSU-Parteiorgan Bayernkurier erklärte er, die Bundesregierung werde gemeinsam mit den Bundesländern ihre Maßnahmen gegen Gewalt, Kriminalität, Extremismus und Fremdenfeindlichkeit „mit aller Konsequenz“ fortsetzen. Der Strafrahmen bei Gewalttaten müsse erhöht und die Untersuchungshaft bei Wiederholungsgefahr ermöglicht werden.
In Nordrhein-Westfalen gab es nach Angaben von Innenminister Herbert Schnoor (SPD) in den vergangenen zehn Tagen zehn Brandstiftungen und 20 Bedrohungen. Es sei bitter, sagen zu müssen, „es ist reines Glück, daß wir in Deutschland nicht erneut Todesopfer beklagen mußten.“
Demos gegen Gewalt
Nach dem Brandanschlag auf ein von AusländerInnen bewohntes Mietshaus in Frankfurt in der Nacht zum Dienstag kam es noch am selben Tag zu mehreren Spontandemonstrationen und Kundgebungen. Auch gestern zogen SchülerInnen und LehrerInnen aus den Schulen des Viertels durch die Straßen: „Stoppt die Gewalt“. Gestern fand um 12 Uhr eine Demonstration auf dem Römerberg statt, zu der die Kommunale Ausländervertretung (KAV) aufgerufen hatte. Für den Abend hatten KAV, der Asta der Uni, die Grünen und zwölf andere Organisationen zu einer weiteren Kundgebung auf dem Römerberg mobilisiert.
Aus Protest gegen die Morde von Mölln und Solingen und für das kommunale Wahlrecht für AusländerInnen und die doppelte Staatsbürgerschaft ist der Postarbeiter Sebahattin Yurdakul aus Frankfurt in den Hungerstreik getreten. Per Unterschrift haben sich bereits 300 KollegInnen mit Yurdakul solidarisiert, der auch ein Verbot aller faschistischen Parteien fordert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen