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Wem gehört die Gen-Vielfalt?

Die Industrieländer beharren auf dem Eigentumsrecht an der Gentechnologie / Die Artenschutzkonvention von Rio verstaubt in Schubladen  ■ Von Reinhard Wolff

Stockholm (taz) – „Die Bibliothek des Lebens steht in Flammen. Niemals seit Ausrottung der Dinosaurier hat die Welt eine solche umfassende Ausrottung von Arten gesehen wie heute.“ Gro Harlem Brundtland, Norwegens Ministerpräsidentin, war ebenso deutlich, was die Notwendigkeit des Artenschutzes, wie unscharf, was die Benennung von deren Bremsern angeht. Eine der beiden verpflichtenden Konventionen, die vor einem Jahr in Rio verabschiedet worden waren und damit eines der wenigen konkreten Ergebnisse der UN- Umwelt-Konferenz im letzten Juni in Brasilien überhaupt, war die Konvention zum Schutz der Artenvielfalt. Kein Industrieland – außer Kanada – hat sie bislang ratifziert. Auch Gro Harlem Brundtlands Norwegen nicht, das gerade Gastgeberland der Rio-Nachfolgekonferenz in Trondheim war.

1,7 Millionen Arten von Leben sind auf der Erde bislang wissenschaftlich beschrieben. Nur ein Zehntel derjenigen, die es tatsächlich gibt – sagt die Mehrheit der ForscherInnen. Gerade erst ein Fünftel meint eine Minderheit. 100 davon verschwinden durch die Aktivität des Menschen jeden Tag auf Nimmerwiedersehen. Vielleicht auch solche, die in sich den Schlüssel zur Heilung von Krankheiten wie Aids oder Krebs tragen, so wie jener kleine Pilz, der zufällig in eine Versuchsschale geraten war und 1928 zur Entdeckung des Penicillins geführt hatte.

Oder wie es der britische Forscher Norman Myers formulierte: „In den letzten 50 Jahren haben wir vermutlich ein Drittel der Arten, die es damals auf der Erde gab, ausgerottet. Um die Vielfalt von damals wiederzuschaffen, braucht die Erde fünf Millionen Jahre. Das bedeutet, daß unsere Generation die Natur für mindestens 200.000 nachfolgende Generationen ärmer gemacht hat. 200.000 Generationen sind eine doppelt so lange Zeit, wie der Mensch bislang die Erde bewohnt hat.“

Fünf Jahre war an der Artenschutz-Konvention gefeilt worden, bevor sie im Juni 1992 von 153 Ländern und der EG in Rio unterzeichnet wurde. Neben dem Schutz der Artenvielfalt enthält die Konvention die Forderung nach einer gerechten Verteilung der Gewinne aus der Nutzung der genetischen Ressourcen. Die Konvention soll in Kraft treten, wenn 30 Länder sie ratifiziert haben – es sind bis jetzt gerade elf geworden. Das in der Gentechnologie führende Land, die USA, hat gar nicht erst unterschrieben.

Der Reichtum der Arten liegt mehrheitlich in den Ländern der Südhalbkugel. Allein die Regenwälder stehen vermutlich für die Hälfte bis 90 Prozent aller Arten. Sie, die tropischen und subtropischen Länder sollen die Arten bewahren. Dafür will die Rio-Konvention ihnen als Kompensation einen anständigen Anteil an den Gewinnen zukommen lassen, die mit Genen und Patenten gemacht werden.

Gentechnik ist Big-Business und die Bio-Konvention ist folglich auch ein „Deal“, wie es die neue UNEP-Direktorin, die Kanadierin Elisabeth Dowdeswell in ihrer Eröffnungsrede in Trondheim ohne Umschweife formulierte. Der Verkaufswert biotechnologischer Samen und Pflanzen für die Landwirtschaft werde sich bis zur Jahrtausendwende auf 150 bis 200 Milliarden DM belaufen. Für die Hälfte davon dürfte die Biotechnik-Industrie in den USA stehen. Sie beschäftigt schon jetzt in 200 Betrieben über 50.000 Menschen.

„Der Teil der biologischen Artenvielfalt, der die Menschen am meisten angeht“, so der Gentechniker Cary Fowler, „ist der, der sich auf ihrem Teller wiederfindet.“ Gene einer Tomatenpflanze aus Peru wurden in den USA dazu benutzt, eine neue Tomatensorte zu züchten, die den Tomatenanbauern jährliche Extra-Einnahmen von 50 Millionen Dollar beschert. Wem gehört das Eigentumsrecht an den Genen? Die geltenden Patentgesetze geben eine ebenso klare wie ungerechte Antwort: dem, der den intellektuellen Einsatz geliefert hat. Auch wenn er nur eine in der Dritten Welt seit Generationen wachsende Pflanze wissenschaftlich erforscht und analysiert hat.

„Gemeinsames Erbe der Menschheit“ war bislang das Schlagwort, unter dessen Deckmantel die Gentechnologen aus den Industrieländern an der Artenvielfalt verdienen konnten. Nach Rio sollen die „wilden“ genetischen Ressourcen einen Wert erhalten, damit es sich für die Entwicklungsländer „lohnt“, sie zu bewahren. Der andere Teil des „Ausgleichsmodells“ funktioniert überhaupt nicht: Die Bezahlung der „Gen-Länder“ in Form von Technologie, Know-how, gar die Verlegung von Forschung und Verwertung aus den Industriestaaten in diese Länder selbst.

Ein Vorschlag, den die USA in Trondheim als Bedingung für ihre Unterschrift unterbreiteten, würde die Konvention völlig aushöhlen. Danach soll die Transfer-Klausel nur für öffentlich finanzierte Forschung gelten, obwohl schon heute der Großteil der einschlägigen Forschungsprojekte in Privatkonzernen läuft.

Mit einer weiteren US-„Klarstellung“ würde die ganze Konvention ihren Sinn verlieren: „Artikel 1.5 der Konvention beinhaltet keine Berechtigung, das intellektuelle Eigentumsrecht in irgendeiner Weise einzuschränken“, heißt es da, und: „Die Regierung stellt fest, daß es international keine Regelung über das intellektuelle Eigentumsrecht gibt, die in der Praxis einen Schaden oder eine Bedrohung für die biologische Artenvielfalt darstellen würde.“

Die USA wollen so viele OECD-Länder wie möglich überzeugen, sich diesen „Klarstellungen“ als Bedingung für die Ratifizierung anzuschließen. Die Artenvielfalt-Konvention von Rio könnte dann für immer im Aktenkeller abgelegt werden. Für Kristin Rosendal, Forscherin am Fridtjof Nansen Institut in Oslo ist die ganze Diskussion sowieso akademisch: „Die Sache ist doch gelaufen. Die Industrieländer haben schon jetzt 80 Prozent aller Gene in ihren Genbanken gesammelt.“

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