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Die Ikebana-Bremse

Eingriffe in die Natur sind längst ein Bestandteil derselben geworden. Wie, zeigt eine Ausstellung zeitgenössischer Fotografie aus Japan  ■ Von Dorothee Wenner

„Für uns ist Beton Natur.“ Mit diesem Bekenntnis provozierte ein japanischer Städteplaner vor einiger Zeit seine westlichen Kollegen auf einem Symposium. Doch die Worte des Japaners klangen für die Europäer so far out, daß sie nur mit Spott erwidert wurden und ein neuerlicher Anlaß gefunden war, Wasser auf die Klischee-Mühlen vom durchgedrehten Workaholic im selbstgebastelten Science-Fiction-Ambiente zu gießen. Dabei wäre es hierzulande höchste Zeit, einen kritischen Blick auf unsere Naturwahrnehmung zu wagen, die seit etwa 200 Jahren vor sich hin dümpelt und mittlerweile in einer grotesken Pose erstarrt ist. Bei genauerem Hinsehen speisen sich unsere Schönheitsideale in Sachen Natur nämlich nur noch aus der Waschmittelreklame und enden mit verzweifelten Versuchen, zum Beispiel in einem winzigen Kreuzberger Park für knapp 30.000 „User“ eine idyllische Alpenlandschaft zu installieren.

Der fehlenden Debatte über das gegenwärtige Naturmißverständnis gleichsam vorausgeeilt ist eine Fotografie-Ausstellung im Zürcher Kunsthaus: „In die Felsen bohren sich Zikadenstimmen“. Wie ein dezenter, roter Faden zieht sich eine unkonventionelle Sicht auf unsere natürliche, also künstliche Umgebung durch die thematisch aufgebaute Gruppen- Ausstellung. Gleich im Eingangsbereich wird man mit großformatigen Schwarzweißfotos von Toshio Shibata in eine seltsam verzauberte Gegenwart geschubst. Shibata war in ganz Japan unterwegs, auf der Suche nach Uferbefestigungen, Baustellen und Berghängen, die mit filigranen Betondecken überzogen sind. Die Eingriffe in die Landschaften sind auf allen Fotos deutlich erkennbar aus pragmatischen Gründen vorgenommen worden, doch diese „notwendigen“ Maßnahmen fallen bei ihm nicht mehr aus dem Rahmen ästhetischer Beurteilungsmöglichkeit heraus. Shibata hat Landart entdeckt, die von Hoch- und Tiefbaufirmen kreiert wurde. An einem Ufer zum Beispiel liegt wie handgearbeitete Broderie ganz zart ein hellgraues Netz aus gegossenem Zement, an anderer Stelle haben die Witterungsspuren einen zubetonierten Abhang in stimulierende Parkarchitektur verwandelt. Wo Wasser zu sehen ist, verliert es durch lange Belichtungszeiten seine fließende Beweglichkeit und erscheint als feste Textilie, fällt wie ein transparenter Schleier eine Staudammwand herab oder liegt wie riesige Wattebäusche im Flußbett. Völlig unangestrengt und frei von Öko-Ressentiment eröffnet Shibata mit seinen Arbeiten eine Perspektive auf das Besondere in alltäglichen Landschaften, deren Normalzustand eben nicht mehr das Naturschutzgebiet fern der Zivilisation ist.

Einen ähnlichen Metamorphose-Effekt zwischen natürlicher und städtischer Natur erzielt Nayoa Hatekeyama. „Factory“ heißt die Serie mit farbigen Panoramaansichten auf Fabriklandschaften. Niemals wirklich bunt, sondern mit sorgfältig reduzierter Farbpalette zeigt Hatekeyama ineinander verschachtelte Kabinen, Rohre, Förderbänder, Schornsteine, Gerüste, Wellblechgänge. Menschen sieht man auf seinen Fotos nicht. Ihre Abwesenheit verstärkt den Eindruck, daß es sich bei den veralteten Industrieanlagen um organisch gewachsene Wesen handelt, die sich im Laufe von Jahrzehnten zu so unverwechselbaren Individuen entwickelt haben wie etwa die Baumriesen im tropischen Regenwald. In Hatekeyamas Arbeiten läßt sich unschwer eine romantische Neigung erkennen, die beim Blick auf altmodische Fabriken im Dienstleistungszeitalter irgendwie naheliegt. Vielleicht ist es das fehlende Überraschungsmoment, das die „Factory“-Fotos im Rahmen der Zürcher Ausstellung fast konservativ wirken läßt. Anders verhält es sich mit Yoshiko Kamikuras Innenansichten von Wohnräumen mit oder neben Pflanzen. Die 1959 geborene Fotografin fordert für die Betrachtung ihrer Schwarzweißbilder mehr Zeit als ihre Kollegen, denn in vermeintlich banalen Wohnzimmerecken oder Treppenaufgängen hat sie kleine, zuweilen sogar zynische Alltagsgeschichten versteckt. Da weint eine Frau auf dem Fernsehschirm, auf dem Gerät selbst steht eine Kleenex-Box. Auf dem nächsten Foto verwandelt sich ein glänzender Gummibaum im Übertopf in ein lebloses Möbel, während in anderen Räumen die Blümchenmuster auf dem Teppichboden oder die unruhige Maserung einer holzverkleideten Wand nur halbwegs domestiziert werden konnten. Kamikuras „Interior/Plant“-Serie ist insofern typisch für die Ausstellung, weil sie – wie offenbar die Mehrzahl der zeitgenössischen Fotografen in Japan – keine Menschen ablichtet.

Um so verblüffender ist es, daß die Ausstellung, in der es kein einziges, klassisches Porträt gibt, sehr viel Intimes über Japan und seine Bewohner verrät. Für diesen Gesamteindruck ist vor allem die Fotoserie „1.9.4.7.“ von Miyako Ishiuchi verantwortlich. Im nämlichen Jahr geboren, zeigt die Künstlerin Füße und Hände von gleichaltrigen Frauen und betitelt sie mit den Berufstätigkeiten ihrer Modelle, „Wirtin“, „Künstlerin“ etc. Als Nahaufnahmen sind die menschlichen Extremitäten mit ihren Falten, aufgerissenen oder geölten Nagelbetten, wohlgestalteten oder deformierten Zehen beredte Zeugnisse über den Lebenswandel einer Person. Weil Ishiuchi aber mit präzise plazierten Unschärfen, Kadrierungen oder Schatten denunzierende Ansichten vermeidet, bekommen vor allem die Fußporträts auch einen sexuellen Fetischcharakter. Damit gelingt das seltene Paradox, unter Wahrung äußerster Diskretion erotische Geheimnisse öffentlich preiszugeben.

Ein Paar Fußsohlen aus der „1.9.4.7.“-Serie sind auch das Plakatmotiv zur Ausstellung und folglich an allen Litfaßsäulen der Stadt zu sehen. In ihrer „Bremshaltung“ scheinen sich diese Füße stellvertretend für die neun jungen, in Europa noch weitgehend unbekannten FotografInnen aus Japan dagegen zu sträuben, in eine lange Reihe von kunstgewerblich angehauchten Veranstaltungen zwischen Teezeremonie, Bambus- Drachen und Ikebana eingeordnet zu werden. Was derzeit unter dem Motto „Japan in Zürich“ in der Schweiz veranstaltet wird, kommt in abgewandelter Form als Japan- Festwochen im Herbst nach Berlin. Merkwürdig, daß unter den Galeristen hierzulande nicht längst ein Wettstreit um diese provozierend moderne Ausstellung entbrannt ist. Daß es in Zen-Klöstern schöne Steingärten gibt, haben uns Marlboro und Geo längst eingebleut. Dagegen ist es eine echte Entdeckung, wie hervorragend sich die weltweit vertriebenen Plastikstühle für öffentliche Grünanlagen als Motive für wunderschöne Parkstilleben eignen.

„In die Felsen bohren sich Zikadenstimmen“ – eine Ausstellung zeitgenössischer japanischer Fotografie. Bis zum 4. Juli im Kunsthaus Zürich, Katalog: 53 DM

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