: Nigeria, Weltmeister der Konfusion
Eigentlich sollen die Einwohner Nigerias heute einen zivilen Nachfolger für ihren Militärherrscher Babangida wählen / Das Oberste Gericht hat jetzt die Wahlen „abgesagt“ ■ Aus Abuja Bettina Gaus
Bis zur allerletzten Minute war unklar, ob die für heute angesetzten Präsidentschaftswahlen in Nigeria, die acht Jahre Militärherrschaft in dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas beenden sollen, überhaupt würden stattfinden können. Eine Gruppierung, die sich „Vereinigung für ein besseres Nigeria“ nennt, hatte am Donnerstag abend vor dem Obersten Gericht eine einstweilige Verfügung erwirkt, in der ihrem Begehren nach Verschiebung der Wahlen aufgrund von Korruption im Vorwahlkampf stattgegeben wurde. Entsprechend einem Dekret der Militärregierung allerdings kann die nationale Wahlkommission (NEC) das Gericht für unzuständig erklären und den Urnengang dennoch stattfinden lassen.
Ob Militärherrscher Ibrahim Babangida, dessen Verbleiben im Amt die Gruppe fordert, die Vorgehensweise der Vereinigung aus dem Hintergrund selbst unterstützt hat, ist in Nigeria Gegenstand zahlreicher Spekulationen. Unter Regierungsgegnern waren in den letzten Monaten die Zweifel daran gewachsen, daß das Militärregime tatsächlich Abschied von der Macht nehmen will. „Ich glaube nicht, daß Babangida bereit ist, zu gehen“, meint der Rechtsanwalt und Menschenrechtsaktivist Clemens Nwankwao in Lagos, der dem Regime Unterdrückung der Pressefreiheit, Unterminierung der unabhängigen Justiz durch Sonder- und Militärgerichte und systematische Folterung von Häftlingen vorwirft.
Nwankwao weist darauf hin, daß wenige Tage vor dem Wahltermin noch keine Wahllokale vorbereitet und keine Wählerlisten veröffentlicht worden sind. Die Stimmung in Nigeria bezeichneten politische Beobachter gestern als ruhig – aber explosiv.
Die Lage ist um so verwirrender, als das Militärregime sowieso Vorsorge dafür getroffen hat, daß der für den 27. August angesetzte Übergang der Macht auf eine Zivilregierung in seinem Sinne verlaufen wird. Ein Diplomat bezeichnet die Wahlen als „Verteilungskampf innerhalb der Elite“. Die Wahlkommission hat die Programme der beiden von den Militärs ins Leben gerufenen und einzig zugelassenen Parteien selber geschrieben: Das der SDP (Social Democratic Party), die laut Babangida „etwas links von der Mitte“ steht, und das der NRC (National Republical Convention), die „etwas rechts von der Mitte“ angesiedelt ist. „In der ganzen Welt bilden Parteien eine Regierung. Hier in Nigeria haben wir den einzigartigen Fall, daß es genau umgekehrt ist“, spöttelt der Journalist Dele Omotunde.
Grundlegende ideologische Unterschiede sind zwischen den beiden Präsidentschaftskandidaten, Moahood Abiola (SDP) und Bashir Othman Tofa (NRC), nicht zu erkennen. Beide sind Muslime, Multimillionäre und enge Freunde von Staatschef Babangida. Der Wahlkampf verlief denn auch ohne größere Konfrontation mit dem Regime: „Die Präsidentschaftskampagnen haben nichts dazu getan, die Stimmung einer zynischen Nation zu verbessern“, heißt es in dem angesehenen Magazin News Watch. „Die Apathie bleibt tief und stark. Die Luft ist dumpf, nachdem keiner der Kandidaten irgendwas Bemerkenswertes gesagt oder getan hat.“
Gleichgültig ist der Ausgang der Wahlen dennoch nicht: Die Kandidaten stützen sich bei ihrer jeweiligen Anhängerschaft auf traditionelle politische Muster, die sich weitgehend an ethnischen und regionalen Zugehörigkeiten orientieren. Seit der Unabhängigkeit 1960 prägt der Machtkampf der beiden Mehrheitsvölker der nördlichen islamischen Haussa-Fulani, den mehrheitlich christlichen Yoruba des Südwestens und den ebenfalls christlichen Ibo des Ostens das Bild von Nigeria. Diese aber bilden nur knapp die Hälfte der rund 90 Millionen starken Bevölkerung, die sich insgesamt in 430 verschiedene Ethnien aufteilt.
Traditionell sitzt die wirtschaftliche Macht im Süden des Landes, die politische jedoch im Norden. Tofa ist ein Mann des Nordens, seinem Rivalen Abiola aus dem Süden aber werden bei den Wahlen etwas bessere Chancen eingeräumt – sein Sieg würde von Beobachtern eher als Sieg des Südens denn als Votum für eine sozialdemokratische Politik betrachtet.
Einst versprach sich die Bevölkerung vom Militär Fortschritte auf dem Weg zur Einheit des zerrissenen Landes. Diese Zeiten sind jedoch vorbei: „Die Nigerianer haben das Militär absolut satt“, meint der Journalist Ray Ekpu. „Die Armee hat das Land zwei Drittel der Zeit seit der Unabhängigkeit regiert und nichts vorzuweisen. Vor einigen Wochen kam es hier in Lagos zum absoluten Zusammenbruch. Es gab kein Wasser, kein Benzin, kein Licht – als ob es gar keine Regierung gäbe.“
Die wirtschaftlichen Probleme Nigerias sind immens: Der Öl- Boom der 70er Jahre hatte das Land reich gemacht, aber auch die Korruption gefördert, und zu einer Vernachlässigung der Landwirtschaft sowie einer dramatischen Landflucht geführt. Von einem führenden Weltmarktlieferanten für Palmöl und Erdnüsse wurde Nigeria zum Importeur dieser Produkte. Die Inflation liegt heute bei über 60 Prozent. Billig ist für die Bevölkerung nur noch das staatlich subventionierte Benzin – der Liter kostet weniger als 5 Pfennig. Weltbank und IWF fordern eine Erhöhung, Politiker aber scheuen davor zurück, weil sie soziale Unruhen befürchten. Die Folgen: Schmuggel in großem Stil über die Landesgrenzen in lukrativere Absatzgebiete und deshalb Benzinknappheit in dem Land, das noch immer der fünftgrößte Erdölexporteur der Welt ist – allein im Januar mußte die Regierung für 30 Millionen Dollar Benzin importieren.
Korruption und Mißwirtschaft wird von vielen Nigerianern für die ökonomische Krise verantwortlich gemacht. Politische Beobachter haben wenig Hoffnung, daß sich an diesen Verhältnissen nach den Wahlen etwas ändern wird.
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