Finaler Sieg des "Karnevalsvereins"

■ Nach dem Pokalfinale feierten die Hertha-Fans die Niederlage wie einen Sieg: Hohn und Spott nach dem 1:0 Erfolg von Bayer Leverkusen / Beifall gegen Fremdenhaß im Stadion und linke Hools am Kranzlereck

„Ihr seid nur ein Karnevalsverein, Karnevalsverein, Karnevalsverein...“ – immer, wenn ein rot- weißer Fanpulk aus Leverkusen den Weg kreuzte, stimmten die Hertha-Fans bei strömendem Regen ihren hämischen Schlachtruf an. Derart peinlich berührt, wollte bei den Rheinländern nicht so die rechte Freude aufkommen am Cup-Coup ihrer Pillendreher aus der Stadt mit dem Bayerkreuz. Leicht verschämt, grinsend oder mit den Schultern zuckend, zogen die rot-weißen Fans in die Kneipen und sich selbst aus der Affäre.

Wer die postfinalen Szenen auf dem Kurfürstendamm als Unbeteiligter miterleben durfte, mußte noch Stunden nach Spielende immer wieder irritiert nach dem Ergebnis fragen. Frenetisch feierten die Fans vor dem Wasserklops ihre Hertha, als wäre nicht nur der DFB-Pokal, sondern auch der Uefa-Cup gleich mitgewonnen.

Der Jubel der Fans stellte zwar nicht den Spielverlauf, der aber das Ergebnis auf den Kopf. Mit einem blamablen 1:0 brachten die Bundesligakicker aus Leverkusen das Spiel über die Zeit und wagten es tatsächlich, die begehrte Trophäe nach dem Abpfiff jubilierend und ekelhaft schmatzend in Empfang zu nehmen, anstatt sich verschämt und geknickt in die Kabinen zu verdrücken. Die Mehrzahl der 76.000 quittierte die geschmacklose Vorstellung mit gellendem Pfeifkonzert und ließ selbst Innenminister Seiters und den Regierenden Diepgen nicht unverschont. Die eigentlichen Sieger, aber das stand schon vor Spielschluß fest, waren die Hertha-Bubis, die als erste Amateurmannschaft nach fünzig Jahren den Einzug ins DFB-Pokalfinale geschafft haben.

Die tatsächlichen Verlierer hingegen waren am Samstag abend die zahlreichen Schwarzmarktverkäufer. Bereits eine halbe Stunde vor Anpfiff waren die Preise derart in den Keller gestürzt, daß selbst Tribünenplätze für fünf Mark verscherbelt wurden. „Verrechnet“, stellte einer knapp fest und pries die Eintrittskarten an wie weiland „Jurken-Otto“ sein Spreewaldgewächs am Bahnhof Wannsee.

Beherrschten vor dem Stadion noch die obligaten weiß-blau- weiß-roten Vereinsfarben die Szenerie, quälte einen im weiten Olympiarund ödes, schnödes Gelb. Zusammen mit dem SFB hatte der Veranstalter Tausende von Base-Bär-Caps verteilt, was zur Folge hatte, daß einem die gegenüberliegende Stadionseite wie ein Nadelkissen gespickt mit gelben Stecknadeln ins Auge stach. Da waren einem die Sticker, die eine Berliner Boulevardzeitung verteilte, schon lieber: „Auch Fremde brauchen Freunde“ – eine Einsicht, der sich auch eine große Mehrheit der Zuschauer nicht verschloß und zum Multikulti-Singsang von „We are the world“ artig die Basecaps schwenkte.

Ganz so friedlich ging es freilich vor dem Spiel nicht zu. Beim Aufeinandertreffen von Berliner und Leverkusener Hooligans wurden nach Polizeiangaben am Lehrter Bahnhof und am Zoo 18 Personen vorübergehend festgenommen. Insgesamt hatte die Berliner Polizei nicht wie angekündigt 800, sondern 1.700 Beamte im Einsatz.

Traurig war am Ende keiner. Die Aspirin-Fans warteten darauf, in heimischen Gefilden sich ohne Häme freuen zu dürfen, und eine Gruppe von 100 Hertha-Fans erkor am Kranzlereck nunmehr die Kicker des FC Union zum neuen Hoffnungsträger. Daß im Berliner Fußball zur Zeit alles möglich ist, mußten auch die behelmten Polizisten am Ku'damm lernen: Nachdem einmal mehr vom Karnevalsverein aus Leverkusen gesungen wurde, skandierten die Fans zum Erstaunen der Passanten: „Wir wollen keine Nazi-Schweine“ und „Wir sind friedlich, was seid Ihr?“ Uwe Rada