piwik no script img

Der Krieg stößt vor ins Festzelt

■ Erster Anwerbeeinsatz der Bundeswehr / Wilmersdorfer Bürgermeister Dohm besorgt um Dienstgrad-Unkenntnis

Die 700-Jahr-Feier des Bezirks Wilmersdorf am vergangenen Wochenende am Prager Platz war ein Treffen der Militaristen: Für die Musik sorgten ein Polizeiorchester, eine britische Militärkapelle, eine US-Army-Band und – natürlich ein Heeresmusikkorps aus Neubrandenburg. „Es ist an der Zeit, daß sich die Berliner an den Anblick von Bundeswehruniformen gewöhnen“, meinte Bezirksbürgermeister Horst Dohm (CDU). Es ginge nicht an, daß die Berliner die Dienstgrade der britischen und amerikanischen Soldaten kennen, aber nicht die der eigenen Streitmacht, sorgte sich der Chef der Wilmersdorfer.

Um dem Abhilfe zu schaffen, hatte der Bürgermeister auch ein paar „richtige“ Soldaten eingeladen: Die „Freiwilligenannahmestelle Ost“ kam auf dem Prager Platz zu ihrem ersten Anwerbeeinsatz innerhalb Berlins. Als ihr Sprecher sich auf der Pressekonferenz vorstellte, nahm er den Bürgermeister beim Wort: Er betonte, daß er nicht „Herr Schmuhl“, sondern vielmehr „Major Schmuhl“ sei. Seine Freiwilligenannahmestelle wolle auf dem Bezirksfest die „Existenz der Bundeswehr“ zeigen. Schließlich „existierten“ in Berlin bereits über 1.000 Soldaten und 1.600 Zivilbedienstete der Bundeswehr. Weil das offenbar nicht genug sind, warb die Freiwilligenannahmestelle um Nachwuchs: In einem hochmodernen Pavillon konnten sich Interessierte ein Bundeswehrvideo reinziehen: Begleitet von cooler Mucke hetzt die „starke Truppe“ per Panzer durch die Prärie: Muskulöse Männer kurbeln den Panzer hoch, um ihn zu reparieren. Das Zielfernrohr reflektiert das Sonnenlicht. Dann geht es weiter durch Schlamm und Sand.

Die Kinder in der ersten Reihe wollten jetzt gar nicht mehr Lokomotivführer werden: Was soll man schließlich mit einer Lok, wenn es auch ein Leopard sein kann? Um den Berufswünschen der Videofans möglichst nachzukommen, hatte die Frewilligenannahmestelle neben den Fernseher zwei Computer gestellt. Davor stehen zwei ausgemusterte Pilotensessel. Erste Frage des Computers: Für welchen Bereich der Bundeswehr interessieren Sie sich, Marine, Heer oder Luftwaffe? Sobald sich angehende Piloten für die Luftwaffe entschieden haben, fragt der Computer schon nach Name und Adresse: „Um Sie richtig beraten zu können, benötigen wir natürlich einige Informationen über Sie.“

Andere informierten sich persönlich bei den Freiwilligenannehmern. Nachts um zehn, im Hintergrund die Klänge der Oldie-Band Phoenix und der Festrummel, plaudert ein chemieinteressierter Abiturient mit seinem Soldaten über seine Zukunft: „Na, da würde ich mich doch in jedem Fall darum bemühen, daß Sie bei einer ABC- Truppe landen. Da haben Sie mit Chemie zu tun“, rät der Uniformierte, dessen Sohn „übrigens auch Chemie studiert“. Apropos übrigens: Der Major ist der niedrigste Stabsoffizier. Er trägt einen silbernen Stern mit silbernem Eichenlaub drumherum. Peter Pax

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen