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Kein Wunder in Berlin

Enttäuschendes Finale um den DFB-Pokal: Bayer Leverkusen - Hertha BSC Amateure 1:0  ■ Aus Berlin Matti Lieske

Wer am Samstag nachmittag einen Blick ins vollbesetzte Berliner Olympiastadion warf, hätte meinen können, der DFB habe 70.000 Freikarten an Schülerlotsen verschenkt: gelbe Mützen, so weit das Auge reichte. Der mit beharrlicher Monotonie herniederprasselnde Regen hatte der Olympia GmbH zum reißenden Absatz ihrer albernen Bärenkäppis verholfen, so ziemlich die erste gelungene Propaganda-Aktion der wackeren Berliner Olympiakämpfer in ihrer langen Geschichte.

Spätestens beim Anpfiff des Endspieles um den DFB-Pokal wurde jedoch klar, daß es sich keineswegs um Schülerlotsen handelte, sondern um eine lärmende, weitgehend homogene Masse von Menschen, die sich nur aus einem einzigen Grunde versammelt hatten: um die Amateure von Hertha BSC gegen die Profis von Bayer Leverkusen siegen zu sehen. Fußballfans sind, noch mehr als andere Leute, jederzeit bereit, an ein Wunder zu glauben, besonders, wenn dieses Wunder schon mehrmals eingetreten ist. Viermal hatten die jugendlichen Sturm-und- Drang-Kicker aus Berlin höherklassigen Mannschaften die eigenen Gesetze des Pokals auferlegt und kaum jemand zweifelte daran, daß irgendein gütiges Schicksal auch im Endspiel alles zum Besten fügen würde. Alles war gerichtet für ein rauschendes Fußballfest, nur das Wetter und die Akteure schossen quer, ersteres bildlich, letztere auch faktisch.

Am Anfang aber war ein gewaltiger Lärm. Wäre in der Anfangsphase des Matches ein Zuschauer, wie weiland Saulus, mit plötzlicher Blindheit geschlagen worden, er hätte trotzdem jederzeit gewußt, was sich auf dem Rasen abspielte. Besaß Leverkusen den Ball, gellte ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert durchs Stadion, ein kollektives Aufjauchzen erhob sich, wenn ein Herthaner den Ball berührte, und gelang es den Amateuren, das Leder kurz in ihren Reihen zu halten, wuchs der Jubel zum Donnerhall.

Saulus hätte allerdings kaum gefallen, was er hörte, den sicher hätte auch er zur großen Majorität der Hertha-Fans gehört. Das Pfeifen wollte kein Ende nehmen, denn die Leverkusener machten nicht den Fehler ihrer gescheiterten Vorgänger, sich von der Anfangsoffensive der euphorisierten Amateure überrollen zu lassen. Früh störten sie den Spielaufbau des Gegners, waren in den Zweikämpfen durchweg überlegen, schoben sich routiniert den Ball hin und her und warteten geduldig auf ihre Chancen, die meist kamen, wenn Andreas Thom angespielt wurde und seine raffinierten Pässe aus dem Fußgelenk zauberte.

Eine äußerst glanzlose, aber wirksame Taktik. Die Berliner kamen nicht ins Spiel, hatten keine Torchance und ihr Trainer Jochem Ziegert ärgerte sich später, daß seine Burschen „zu wenig mutig“ gewesen seien. In der ersten Halbzeit habe sein Team viel schlechter als erwartet gespielt. Es reichte, um die vorsichtigen Leverkusener auf Distanz zu halten, und dem Publikum ging langsam auf, daß es mit dem ersehnten Fest wohl nichts werden würde.

Wie aufgedreht kamen die Herthaner nach der Pause aus der Kabine und schafften es tatsächlich, den Gegner eine Viertelstunde lang unter Druck zu setzen. Doch jenes Tor, das die Situation schlagartig verändert, die Beine der Leverkusener plötzlich mit unbändiger Schwere erfüllt und ihre Nerven zum Flattern gebracht hätte, dieses Tor lag nicht mal in der Luft. Dafür wurde es auf der anderen Seite immer wahrscheinlicher. In der 55. Minute war Hapal nach genialem Thom-Paß frei vor dem Tor und schoß knapp vorbei, fünf Minuten später jagte er den Ball mit mächtigem Schuß an die Unterkante der Latte, von wo er auf die Linie, dann wieder unter die Latte, dann nochmal auf den Fuß von Hapal und von dort ins Aus prallte.

Das Ende kam in der 77. Minute. Ulf Kirsten köpfte eine Flanke von Hapal ins Tor, das unspektakuläre Kalkül von Leverkusens Trainer Dragoslaw Stepanovic war aufgegangen: Spiel kontrollieren, Gegner und Zuschauer einschläfern und auf die größere Gefährlichkeit der Stürmer vertrauen. Das Publikum sah sich um sein Wunder geprellt und machte seiner Enttäuschung mit einem gellenden Pfeifkonzert bei der Pokalübergabe an die Sieger Luft. Stepanovic nahm's gelassen. „Es waren 70.000 Leute im Stadion, darunter 12.000 Leverkusener. Die haben nicht gepfiffen. Das ist wichtig für uns.“ Wohl dem, der ein genügsames Publikum hat.

Hertha BSC Amateure: Fiedler - Meyer - Oliver Schmidt (73. Höpfner), Nied - Klews, Andreas Schmidt, Ramelow, Kolczyk, Holzbecher - Kaiser, Gezen

Zuschauer: 76.391; Tor: 1:0 Kirsten (77.)

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