: Die Traumseite der Machtgier
Kein Märchen mehr, aber ein traumhafter Entwurf zum Thema Macht und Triebhaftigkeit: Shakespeares „Sommernachtstraum“ in der Inszenierung von Hans Neuenfels am Berliner Schillertheater ■ Von Petra Kohse
Am Anfang wird die Amazone Hippolyta gefesselt vor den Thron des Athenerkönigs Theseus geführt, damit man die Hochzeit bespricht. Am Ende steht sie mit gespanntem Bogen auf der Bühne und zielt auf ihren Bräutigam. Auf der Hinterbühne rieselt blutroter Schnee, dann fällt der Vorhang. Nichts Romantisches hat Shakespeares Zaubermärchen vom „Sommernachtstraum“ in der Lesart von Hans Neuenfels – und nichts Märchenhaftes. Hier geht es um den Geschlechterkampf. Das Schlußbild deutet eine Stärke Hippolytas an: sie ist in der Lage, ihre animalische Sinnlichkeit zu akzeptieren, während Theseus die seine aus Angst vor Lächerlichkeit verdrängt. Auch wenn das kaum nach Shakespeare klingt – es steht (fast) alles im Text.
Neuenfels läßt nicht nur die vier Liebenden Hermia, Lysander, Helena und Demetrius im Elfenwald durch erotische Intrigen und Verwirrungen taumeln, an die sie sich später wie an einen Traum erinnern. Das Königspaar selbst ist involviert. Peter Fitz und Elisabeth Trissenaar spielen sowohl Theseus und Hippolyta als auch Oberon und Titania. Das ist nicht einfach eine Doppelbesetzung, sondern ein konsequenter Entwurf zum Thema Macht und Triebhaftigkeit. Titania-Hippolyta verliebt sich, von Oberon-Theseus verzaubert, in den Handwerker Zettel, der wiederum vom Elfenfaktotum Puck in einen Esel verwandelt wurde. Und sie läßt sich lieben, wie das bei Tieren üblich ist: wild und von hinten. Als Hippolyta-Titania bei ihrer Hochzeit Zettel als Schauspieler wiederentdeckt, erinnert sie sich daran nicht ohne Interesse. Auch Theseus erinnert sich und läßt die gesamte Schauspielerschaft kurzerhand umbringen. Ein Blutgemetzel statt Tanz und Gesang – eine Herrschergeste, ein Verdrängungsakt. Und der gewaltsame Schluß einer gewaltigen und gleichzeitig ungemein leichten und häufig sehr komischen Inszenierung, die bis ins kleinste Bild hinein stimmig ist. Lange war in Berlin keine Arbeit von Hans Neuenfels zu sehen, diese jetzt entschädigt für manchen Flop während seiner Intendantenzeit an der Freien Volksbühne.
Reinhard von der Thannen hat die leere und schwarz ausgeschlagene Bühne mit einer metallenen Umrandung versehen, die weiter hinten, etwas kleiner, wiederholt wird. Dieser Athener Hof wird bevölkert von einer schwarz gefärbten Dienerschaft. Sie tragen stilisierte Hottentottenröckchen und eine Art Trichter auf dem Kopf. Mit Trommeln, Flöten, Säbeln und auch Fackeln bewehrt, sind sie die stummen Erfüllungsgehilfen archaischer Rituale: einer Hundejagd, eines Massenmordes. Wie alle anderen fallen sie vor ihrem König platt auf den Boden – Neuenfels' Athen ist eine in der Ausstattung unlokalisierbar exotische, aseptische Diktatur.
Auch in seinen Traum als Oberon nimmt Theseus diese Diener mit hinein. Sie wirken dort keineswegs fremd – ohnehin befindet man sich ja statt in einem Sommerwald in einer schwarzen Einöde, die gelegentlicher Schneefall zum angemessenen Seelenschauplatz des wunderlichen Nachtgeschehens macht.
Die tändelnden Liebesverwirrungen der jungen Athener sind in solcher Umgebung bald auf ihren triebhaften Punkt gebracht: Immer spärlicher bekleidet und mit grauem Dreck verschmiert, irren die vier im Taumel ihrer körperlichen Erregung umher, ihren nicht unkomischen Kampf um das Kopulationsvorrecht bei Helena tragen Lysander (Stefan Wieland) und Demetrius (Henry Arnold) so aus, wie man sich einen Ringkampf bei Neandertalern vorstellt. Nachher schlabbern sie gemeinsam aus einer Schüssel Wasser.
Über viele Nebenstränge der komplizierten Handlung geht die Regie flott hinweg und verweilt lieber bei so aufschlußreichen Szenen wie der zwischen Titania und Zettel: Wie Elisabeth Trissenaar sich erst befremdet, dann aber immer leidenschaftlicher und verzückter mit den Liebesgepflogenheiten des Esels abfindet, wie Ulrich Noethen als angebetetes Maultier immer dreister in seinen Forderungen wird, das ist in seiner Absurdität ein gültiges Beispiel zwischengeschlechtlichen Miteinanders.
Als Puck hat Bernhard Minetti einige große Auftritte, in denen er sein unverwechselbares „R“ rollen läßt. In einem roten Samtjäckchen schlurft er kindlich ernsthaft durch die Szenen, unberührt von dem Getümmel und ganz seiner faunischen Pflichterfüllung hingegeben. In früheren Inszenierungen hatte Hans Neuenfels' dynamische Schauspielführung oft viel mit Kraftmeierei zu tun. An den Handwerkerszenen beweist sich jetzt, zu welch perfekter Choreographie er fähig ist. Hier wird eine Partitur gesprochen, gelaufen und gestisch untermalt, mit bewußten Pausen und ohne jegliche Zufälligkeit.
Neuenfels hat dieser Shakespeareschen Sommernacht den Zauber des Märchens genommen. Aber er hat ihr die akkurate Symbolkraft des Traums gegeben, eines Traums, an den man sich erinnern sollte.
William Shakespeare: Ein Sommernachtstraum. Regie: Hans Neuenfels; Ausstattung: Reinhard von der Thannen; Darsteller: Henry Arnold, Peter Fitz, Bernhard Minetti, Ulrich Noethen, Sophie Rois, Susanna Simon, Elisabeth Trissenaar, Stefan Wieland u.a.; weitere Vorstellungen am 15., 19., und 24. Juni
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen