Ein Treffen, das „hätte früher stattfinden müssen“

■ In einer Solinger Kirchengemeinde kamen nach anfänglicher Unsicherheit Moslems und Christen ins Gespräch und legten den Grundstein für ein neues Miteinander

„Das war ein schöner Anfang heute. Ich hoffe, daß es so weitergeht.“ Nun, es scheint ganz so, daß dieser Wunsch von Pfarrer Römelt in Erfüllung geht. Als der junge Pastor am Dienstag abend, am Ende eines Gesprächs zwischen seinen Gemeindemitgliedern und den türkischen Gästen, Bilanz zieht, herrscht vorsichtige Zuversicht im Haus der evangelischen Kirchengemeinde Solingen-Dorp. Adressen werden getauscht, Verabredungen getroffen, auch ein Gegenbesuch in der Moschee wird fest vereinbart. Dieses Treffen, da sind sich Pfarrer Ungerathen-Purpus und Nihat Deniz vom Ausländerbeirat einig, „hätte früher stattfinden können und müssen“.

Der Mord an den fünf türkischen Frauen und Mädchen und die Randale-Nächte danach haben einige Christen der Gemeinde aufgerüttelt und ermutigt, das Gespräch zu suchen. Auf seiten der Deutschen, so die Beobachtung von Pastor Ungerathen-Purpus, stünden die Unsicherheit, Angst und Sprachlosigkeit vieler dem großen Engagement und der Hilfsbereitschaft einer kleinen Minderheit gegenüber – auch in der Kirche. „Viel war da nicht, auf dem wir hätten aufbauen können“, beschreibt jemand vom Ausländerausschuß des evangelischen Kirchenkreises die Situation. Wie in den meisten anderen Kommunen lebten Christen und Muslime auch in Solingen aneinander vorbei. Dabei, so begrüßt Imam Kilic die Anwesenden, „sind wir doch alle Gottes Kinder, und die Welt hat für uns alle Platz“. Grundlage für ein friedliches und freundschaftliches Zusammenleben böten der Koran ebenso wie die Bibel. „Wir haben im Koran wie Sie in der Bibel zehn Gebote und darin steht“, so ergänzt Nihat Deniz den Imam, „du sollst nicht töten, und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ Das sei doch die Basis, um „vernünftig“ miteinander zu leben.

An die rund 30 deutschen TeilnehmerInnen appelliert Deniz, „uns zu akzeptieren — mit unseren Kopftüchern, unserem Knoblauch und unserer Kultur“. Da lachen alle, und die Steifheit des ersten Treffens, bei dem die türkischen Gläubigen in der Mehrheit sind, beginnt zu schwinden. Einen Mittelweg zu finden zwischen fortdauernder Ignoranz und überfallartiger Freundlichkeit fällt beim Gespräch in kleinen Gruppen leichter als gedacht. Necmettin Gül erklärt, warum die Gewährung der doppelten Staatsbürgerschaft und das allgemeine Wahlrecht jetzt wichtig und von den meisten Türken gewollt sei: „Heute haben wir doch nur Pflichten, aber keine Rechte. Mitbürger sind wir nur beim Steuern zahlen.“

Mit der herrschenden Gemütslage nicht abfinden

Ein Neuanfang müsse aber auch in der Nachbarschaft beginnen. Viele der Barrieren, so eine türkische Frau, hätten mehr mit dem Elternhaus als mit der Politik zu tun. Wenn ein kleines Kind ihr entgegenrufe, „Mama, Mama, da kommt die böse Frau“ – genau das sei ihr vor kurzem passiert –, dann lägen dem doch Einstellungen zugrunde, die in der deutschen Familie vorgelebt würden. „Das ist doch schlimm. Woher kommt das?“ Vielleicht wird diese Frage bei einem Folgetreffen ebenso diskutiert werden wie die eines türkischen Familienvaters, der im eigenen Umkreis erlebt hat, daß die Freundschaften zwischen türkischen und deutschen Kindern meist dann erkalten, „wenn die Kinder 14, 15 Jahre alt werden. Warum?“ Darauf geht am Dienstag niemand ein, und auch der Bitte an die Deutschen im Saal, „sagen Sie uns doch einmal, wo wir Ihrer Meinung nach Fehler machen“, wird nicht entsprochen. Am Ende wirbt die türkische Schülerin Emine Nas dafür, den Pessimismus zu überwinden. „Ich habe mich in Deutschland immer sehr wohl gefühlt. Ich habe mehr deutsche als türkische Freundinnen und immer positive Erfahrungen gemacht.“ Ja, sie sei jetzt auch „enttäuscht“ und sehe viele „pessimistische Menschen“. Aber mit dieser Gemütslage dürfe man sich nicht abfinden. Vielleicht ist am Dienstag der Grundstein dafür gelegt worden, das zu ändern. Walter Jakobs, Solingen