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Indiens Premier im Zwielicht

Korruptionsvorwurf gegen Rao / Kongreßpartei spricht ihm Vertrauen aus / Opposition fordert geschlossen seinen Rücktritt  ■ Aus Neu Delhi Bernard Imhasly

Der indische Premierminister Narasimha Rao hat sich noch einmal des Rückhalts seiner Partei versichern können: gestern sprach ihm die regierende Kongreßpartei in einer Krisensitzung das Vertrauen aus, obwohl er sich in der Mitte eines Korruptionsskandals befindet. Am Mittwoch hatte der Börsenmakler Harshad Mehta in Bombay bekannt gegeben, er habe Rao in dessen Residenz am 4. November 1991 persönlich zehn Millionen Rupien übergeben. Das Geld sei für den Wahlfonds Raos bestimmt gewesen – zwei Wochen nach der Übergabe mußte sich der Premier den Wählern stellen.

Die Enthüllung schlug in Neu- Delhi wie eine Bombe ein. Die gesamte Minister- und Parteiprominenz versammelte sich um den Regierungs- und Parteichef, dessen bereits stark angeschlagenes Image nun ganz zusammenzubrechen drohte. Die kurze Stellungnahme des Premierministers zeigte wenig kämpferische Haltung. Rao wies in ihr lediglich die Behauptung Mehtas zurück, von ihm Geld erhalten zu haben – nicht aber, diesen getroffen zu haben. Es ist das erste Mal in der Geschichte des Landes, daß ein Premier direkt beschuldigt wird, Schmiergelder entgegengenommen zu haben.

Verbreiteter Zynismus

Das indische Publikum ist zwar mittlerweile zynisch genug, um bei allen Politikern Korruptheit anzunehmen. Diese selbst gehen, wie vor kurzem ein Kabinettsminister, mittlerweile so weit, „finanzielle Transaktionen“ quasi als legitimen politischen Geschäftsvorgang zu beschreiben. Aber der Premierminister hat im einfachen Volk einen derartigen Symbolwert, daß es ihm Vergehen nicht verzeiht. Das hatte auch Rajiv Gandhi erfahren müssen: Nur schon der Verdacht, daß er beim Kauf von schwedischen Bofors-Kanonen „Kommissionen“ kassiert hatte, genügte, um ihm 1989 eine vernichtende Wahlniederlage einzubrigen. Raos Image ist zudem bereits besudelt, da im Verlauf der Abklärungen über den Bankenskandal in Bombay auch Geldzahlungen an Firmen auftauchten, die seinen Söhnen gehören.

Der pauschalen Zurückweisung der Vorwürfe steht zudem die detaillierte Beschreibung des Treffens zwischen Rao und Harshad Mehta entgegen. Dessen Abfolge wird mit Angaben von Zeugen, der genauen Zeitpunkte des Geldabhebens, der Stückelung der Summen im Einzelnen aufgelistet – bis zu dem Detail, daß der Mitarbeiter Raos am Nachmittag des Treffens plötzlich anrief, weil Mehta vergessen hatte, mit dem Geldkoffer auch den Schlüssel zu übergeben. Das Statement ist zudem identisch mit einer notariell beglaubigten Erklärung, die Mehta am 24. Februar dieses Jahres bei der Untersuchungsbehörde hinterlegt hatte. Es stellt sich nun die Frage, warum diese in der Zwischenzeit nichts unternommen hat, um der schwerwiegenden Beschuldigung nachzugehen, und warum sie diese nicht dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß mitgeteilt hat, welcher in den Bankenskandal von Bombay hineinleuchten soll.

Zwielichtiger Ankläger

In diesem Skandal, der vor einem Jahr aufgeflogen ist, gehört Mehta zu den Hauptakteuren, und er ist deshalb gewiß kein unverdächtiger Zeuge. Bis zu 1,6 Milliarden Dollar sollen sich er und seine Kumpanen mit – nicht gedeckten – Staatspapieren von Banken erschlichen haben. Einen Großteil davon pumpten sie in die Börse, deren Kurse zu einem rasanten Höhenflug ansetzten, bevor sie sechs Monate später, als der Skandal platzte, ebenso rasch wieder zusammenbrachen. Die Voruntersuchungen sind abgeschlossen und Mehta droht jederzeit die Verhaftung. Durch seine Anwälte versuchte er daher in den letzten Tagen, sich „politischen Schutz“ zu erkaufen, ansonsten er Geldzahlungen an einen „prominenten Politiker“ bekanntgeben werde. Mehta machte seine Drohung in einem breit angekündigten Geständnis vor der Presse schließlich wahr.

Es ist anzunehmen, daß die Kongreßpartei in den nächsten Tagen versuchen wird, die mangelnde Glaubwürdigkeit Mehtas als Basis für eine Schadenbegrenzung zu nehmen. Es ist aber wenig wahrscheinlich, daß dies genügen wird. Die gesamte Opposition hat geschlossen den Rücktritt des Premierministers gefordert.

Raos Position ist in den letzten Monaten ohnehin ins Schlittern geraten. Bis Ende letzten Jahres war seine Führung noch geprägt von den Wirtschaftsreformen und den kenntnisreichen Kulissenmanövern, mit denen der Premier diese Politik über die ersten schwierigen Runden brachte. Nach der Zerstörung der Moschee von Ayodya am 6. 12. 1992 und den darauffolgenden Zusammenstößen zwischen Hindus und Muslimen jedoch stürzten sich die Regierung und ihr Chef in ein Wechselbad von Passivität und Überreaktion, aus denen sie sich immer weniger befreien konnten. Es begann mit der dramatischen Kurzschlußaktion der Entlassung der vier von der hinduistischen BJP- Partei geführten Provinzregierungen und dem Verbot extremistischer religiöser Organisationen. Ein Gericht erklärte die Absetzung der BJP-Regierungen vor zwei Monaten für verfassungswidrig. Vor kurzem erklärte eine gerichtliche Untersuchungskommission auch das Verbot der hinduistischen Kaderorganisation RSS für nichtig. Schwerwiegender aber war, daß sich weder Regierung noch Partei bisher die Mühe gegeben haben, den Angriff der BJP und ihrer Verbündeten auf die säkularistische Staatstradition zu parieren. Der sichtlich gealterte Regierungschef hat sich in den letzten Monaten kaum mehr in der Öffentlichkeit vernehmen lassen.

Die nächsten Wahlen – vier Bundesstaaten müssen bis spätestens November ihre Provinzparlamente neu bestellen – stehen vor der Tür. Falls sich zeigen sollte, daß diese mit einem angeschlagenen Führer nicht zu gewinnen sind, wird der vorläufige Rückhalt für Rao auch in der Partei rasch schwinden.

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