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Dicke und dünne Schmöker

Der Tip für Anspruchsvolle, Kunstbeflissene und Wochenendausflügler  ■ Von Günter Ermlich

„Denn Reisen beginnt im Kopf“ heißt es in der Mundo-Verlagswerbung. Und so nimmt es nicht wunder, daß die Express-Reisehandbücher sich in zwei Hälften aufteilen: „Erst lesen...“ umfaßt Kapitel zu Geographie, Geschichte, Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur und ist eine umfassende aktuelle Länderkunde. „...dann reisen“ präsentiert die wichtigsten Städte und Regionen und ist der eigentliche Reiseführer. Ein schmaler Farbteil dazwischen ist ein optischer Appetizer auf Land und Leute; die alphabetisch geordneten Stichworte („Reisetips von A–Z“) runden das Reisehandbuch ab. Die vordere Umschlagklappe enhält die wichtigsten Strukturdaten, die hintere Klappe eine Überblicks-Landkarte.

Wer die geballte Ladung Hintergrundinformation, die vom profunden Sachverstand der AutorInnen zeugt, intus hat, der weiß über das Zielgebiet seiner touristischen Begierde, über das, was sich hinter der vordergründigen touristischen Fassade tut, ausreichend Bescheid. Auch der Alltag kommt nicht zu kurz: Medien, Literatur, Musik, Frauen, Bildung...

Im „Reiseführer“-Abschnitt erleichtert eine Stichwortleiste am Rand den schnellen Zugriff auf Orte, Sehenswürdigkeiten, Tips. Eine Schwachstelle sind die eingesprengselten touristischen Service- Informationen (Adressen zu Unterkünften, Restaurants und Verkehrsmitteln). Weil sie nur unregelmäßig auftauchen, wirken sie zufällig und alibihaft und sollen wohl den praktischen Nutzen des Führers vorgaukeln. Wenn schon, denn schon: Entweder nach Schema F zu jedem Ort ein touristischer Adressenteil – oder aber gar nicht. Fazit: Anspruchsvolle dicke Schmöker für informationshungrige Individualtouristen. Nach Bed, Breakfast und Bus unterwegs muß sich der Reisende aber selbst umsehen.

„Express-Reisehandbücher“, Mundo-Verlag Leer, 208 bis 720 Seiten, 29 bis 49 Mark (in der Regel 39 Mark).

„Kunst & Reisen“ heißt die neue Reihe des Artemis-Verlags. Geschichte und Kunstgeschichte, auch mal Architektur oder Essen und Trinken zur Einstimmung, dann kommt das Eigentliche: Der Leser wird mittels ausführlicher kunstgeschichtlicher Animation an die Hand genommen.

Eine Gebrauchsanweisung in der vorderen Umschlagklappe verweist auf das Besondere und Neue der Reihe, eine Nummernrevue: Durch einheitliche Nummern in Kopfzeile, Plan, Legende und Textteil ist das problemlose Auffinden eines gesuchten Objekts oder Orts möglich. Zur schnellen Orientierung wird dem kunstbeflissenen Liebhaber mit einem Drei-Sterne-Bewertungssystem (Nullsterne bedeuten wohl Niete) angeboten. Diese Hierarchisierung von Sehenswürdigkeiten (Orte, Bauwerke, Plätze, Museen) ist – wie könnte es anders sein – höchst subjektiv und führt den Benutzer nolens volens auf eine vorgefertigte Sightseeing-Loipe.

Das „Fleisch“ eines Landes oder einer Region, der Alltag und das (Er)Leben der touristischen Destination jenseits der kunsthistorischen Schätze fällt so gut wie flach. Dem Gegenstand des Kunstobjekts angemessen ist die Sprache: brav, erbaulich, korrekt. Die Fotos sind ansprechend, die Karten hilfreich. Ein blauer Info-Teil im Anhang enthält Reiseinformationen (Öffnungszeiten und Verkehrsämter, praktische Tips von A–Z), ein kunsthistorisches Glossar, ein Personen- sowie ein Orts- und Objektregister. Der touristische Nutzwert ist begrenzt, Freizeitaktivitäten werden nur gestreift. Die Bände „Südtirol“ und „Harz“ enthalten Wandertips.

Fazit: Traditionelle Kunstreiseführer im modernisierten Outfit für Kunstfreunde und Studienreisende. Praktische Reiseratgeber können sie nicht ersetzen.

„Artemis Kunst & Reisen“, Artemis & Winkler Verlag München und Zürich, 320 bis 400 Seiten, 42 bis 46 Mark.

Die Reihe „Der Reisebegleiter“ des Aragon/PVB-Verlags beschränkt sich vorwiegend auf kleinteilige Regionen rund um Berlin in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Ausnahme ist bisher eine Polen-Trilogie. Die dünnen blauen Bände bieten von jedem etwas: Meist knapp gehaltene Einführungen zu Geschichte und Natur, Landschaft und Leuten, dann Kurzporträts der Orte mit ihrem Interessanten und Sehenswerten sowie eingestreute Tips für Touren zum Wandern, Radwandern und Wasserwandern (allerdings keine detaillierten Routenbeschreibungen). Schließlich ein ordentlicher, in der Regel umfangreicher Serviceteil mit Hinweisen und Adressen (Gaststätten und Unterkünfte). „Ein Streifzug in Bildern“ mittendrin ist eine bunt bebilderte Einstimmung. Das Cover zeigt ein regionentypisches Motiv, die Rückseite eine grobe Landschaftsskizze.

Die Büchlein liegen gut in der Hand (für die Jackentasche) und bieten eine ausgewogene Mischung aus Hintergründig-Geschichtlichem wie Praktisch-Touristischem zum Thema „Was man weiß, was man wissen sollte“. Die Crux liegt im Preis-Leistungs- (Umfang)-Verhältnis: Die dünnen Bändchen sind teuer (64 Seiten für knapp 10 Mark). Und die drei informativen Polen-Bändchen kosten zusammen stolze 60 Mark. Fazit: Kurzweilige, komprimierte guides bleues für den interessierten Wochenendtouristen.

„Der Reisebegleiter“, Verlag Berlin/PVB Berlin und Potsdam, 64 bis 160 Seiten. 9,80 bis 19,80 Mark.

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