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Weltrekord vom Winde verweht

■ Andre Cason hat nach einem Jahr Pause ein sensationelles Comeback bei den US-Ausscheidungen

Eugene (dpa) – Bei seinem Comeback hatte Andre Cason gleich seinen großen Auftritt und schockte Carl Lewis und Leroy Burrell. Ein Jahr nach der unglücklich verpaßten Olympia-Qualifikation gewann der 24jährige bei der WM-Ausscheidung der Amerikaner in Eugene im US-Bundesstaat Oregon mühelos die 100 Meter in sensationellen 9,85 Sekunden vor dem zeitgleichen Olympia-Dritten Dennis Mitchell, und nur der unerlaubte Rückenwind von 4,8 Meter pro Sekunde verwehte den neuen Weltrekord. Carl Lewis, durch eine Pollen-Allergie geschwächt, schaffte als Dritter mit 9,90 Sekunden gerade noch den Sprung ins WM-Team, aber sein Rücktritt in Raten setzte sich fort. Sein Weltrekord steht seit dem 25. August 1991 bei 9,86. Ex-Weltrekordler Burrell dagegen lief nur 10,15 und qualifizierte sich als Fünfter noch nicht einmal für die Staffel.

„Das ist ein großer Sieg für mich. Ich spüre viel Genugtuung. Nur Gott weiß, wie schnell ich laufen kann. Ich bin ein Gold-Junge. In Stuttgart hole ich mir die Medaille von Barcelona“, sagte Cason, der im Vorlauf und im Halbfinale sogar noch schneller war. Die jeweils 9,79 fanden allerdings auch bei viel zu starkem Rückenwind statt.

Vor genau einem Jahr, am 19. Juni 1992 bei den US-Olympia- Ausscheidungen in New Orleans, befand sich Cason schon einmal in sensationeller Form, aber nach seinem üblichen Blitzstart stürzte er im Vorlauf. Olympia, good bye. Achillessehnenriß lautete die Diagnose, und Cason bekam sofort einen Gips bis zur Hüfte verpaßt. Erst dreieinhalb Wochen später wurde der ärztliche Befund korrigiert: „nur“ Muskelfaserriß in der linken Wade. Cason wollte aufgeben und hätte seine Karriere beendet, wäre er nicht von seiner Oma überredet worden. „Sie hatte einen Herzinfarkt und drei Wochen später einen Schlaganfall und hat sich wieder davon erholt. Dann sagte ich mir, das kann ich auch, schließlich sind wir vom gleichen Blut“, sagte Cason, „ich war kaputt, aber alle haben gesagt, auf geht's Baby, steh wieder auf.“

Cason verpflichtete Loren Seagrave, den Ex-Trainer von Ben Johnson, der eigentlich vom US- Verband gesperrt ist, weil er 10.000 Dollar Verbandsgeld mißbraucht hatte. Doch Cason hatte noch andere Probleme. Der Hallen-Weltrekordler über 60 Meter hatte Angst, seine Spikes anzuziehen: „Ich hatte eine psychische Sperre und wußte nicht, was ich machen sollte.“ Sein Vater jedoch wußte es. Er empfahl seinem verzweifelten Sohn, die Laufschuhe beim Rasenmähen und bei sonstiger Gartenarbeit anzuziehen. Mit Erfolg.

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