: Löwenschwemmen und Bärengreise
Tierpfleger verlangen eine Aufwertung ihres Berufs / Zoopädagogen entwerfen Beschäftigungsprogramme für Tiere und artgerechte Gruppenhaltung / Konzepte für Affenherden und Sumatra-Tiger ■ Von Heide Platen
Sein T-Shirt ist bunt und natürlich mit Tieren bedruckt. Carsten Knott ist Tierpfleger im Frankfurter Zoo und kennt seinen Spitznamen. „Karton-Knott“ nennen ihn seine Kollegen. Oder auch den, „der immer überall Unordnung macht und alles durcheinander bringt“. Das tut er aus Überzeugung. Seit Jahren ist er als Springer eingesetzt und macht sich so seine eigenen Gedanken über die allgemeine Langeweile und die der Tiere in Zoos im besonderen. Und dann müssen sich, wenn Carsten Knott mal wieder bei ihnen Dienst hatte, die Affen eben ihr Futter aus an den Enden zusammengebunden Gartenschläuchen pulen oder es unter Kartons hervorkramen. Dabei entdeckte er, daß die klugen Schimpasen den Gartenschläuchen gegenüber ratlos sind, die Orang-Utans sie aber flink entknoten können. Und die Raubkatzen kommen auch nicht mehr so leicht zu ihrem Fleisch. Das hängt nämlich auf einmal an einem Strick hoch oben im Gehege und muß mühsam erangelt werden.
Carsten Knott nennt sich selbst „ein bißchen zooverrückt“. Er „sammelt“ Zoos regelrecht, hat sie schon überall in der Welt besucht und mit den deutschen Einrichtungen verglichen. In Vorträgen berichtet er darüber. Er ist kein Zoo- Gegner, aber ein gründlicher Kritiker. In Deutschland bemängelt er zum Beispiel die strenge Reglementierung der Ausbildung, die ihm zu wenig qualifiziert ist. Dadurch, sagt er ganz höflich, „leidet die Zusammenarbeit“. Was er damit meint, läßt sich nur vermuten. Kollegen klagen jedenfalls darüber, daß die Experten, die ForscherInnen und Gelehrten den Vorschlägen der Tierpfleger, die täglich mit ihren Schützlingen umgehen, viel zu wenig Beachtung und Gehör schenken. Ein Zusammenschluß der Tierpfleger trifft sich seit einigen Jahren regelmäßig. Daß viele Zoos veraltet, wenn nicht gar tierfeindlich sind, wissen sie. Das „Guckkastenprinzip“ des vorigen Jahrhunderts ist ihnen ein Greuel. Vom bloßen Betrachten der Tiere könne absolut gar nichts über sie gelernt werden: „Die Leute wissen doch, wie ein Elefant aussieht.“ Wer heutzutage Tiere gegen Eintritt zur Schau stellt, muß mehr tun, um vor ihren Augen bestehen und das Einsperren von Tieren rechtfertigen zu können. Knott: „Die Menschen müssen etwas über die natürliche Lebensweise, über das Gruppenverhalten der Tiere erfahren können.“
Diesem Anspruch hat sich zum Beispiel der Zoo im holländischen Emmen verpflichtet, von dem der Bärenpfleger Siegfried Kranemann regelrecht schwärmt. Emmen hat sich unter anderem der umstrittenen Elefantenhaltung verschrieben. Nur daß dort alles ganz anders ist. Die Elefanten stammen aus Birma, sind dort als Arbeitselefanten eingesetzt gewesen. Und sie tun in Emmen zusammen mit ihren Mahouts nichts anderes. Die Besucher sind begeistert. Sie können zugucken, wie asiatische Arbeitselefanten lernen, wie sie leben und was sie alles können, dazu Geräte betrachten, Texte lesen und Filme über afrikanische Elefanten sehen.
Sie könnten aus der Perspektive von Tieren sehen lernen. In Cincinnati in den USA führt ein Tunnel für Kinder wie ein Präriehund- Bau in der Mitte einer Kuppel nach oben, und ein Giraffen- Periskop zeigt deren Blickwinkel. „Das ist“, so Siegfried Kranemann, „Schule, ohne es zu merken, nicht langweilig und nicht belehrend.“
Zusammenschlüsse von Anhängern moderner Tierhaltung und Pflege gibt es in den USA schon seit 1968, in England seit 1974 und in Holland seit 1978. „Hier“, sagt eine Tierpflegerin, „sind wir immer noch in der Gründerphase.“ Und: „Wir müssen uns dafür einsetzen, daß die Ansprüche an unsere Ausbilung, unseren Beruf höher gehängt werden.“ Knott ist da noch etwas strenger: „Hier kommen die Leute doch immer noch nur aus Sensationslust in den Zoo.“ Zwar sind die Gründe, die er damit meint, wirklich nicht mehr die aus dem vorigen Jahrhundert, als die Zurschaustellung behaarter Damen, johlender Indianergruppen und trommelnder Schwarzafrikaner mit „Exotenschau“ und eingepferchten Löwen durchaus zum Geschäft der naturkundlichen Aufklärung gehörten.
Heutzutage wird anders gelockt. „Die Tiere müssen“, so Knott, „entweder brandgefährlich oder höchstbedroht“ sein, um die Menschen zum Staunen zu bringen. Dabei sei „die Didaktik doch die einzige Daseinsberechtigung, die Zoos heutzutage noch haben“. Daß da so vieles im argen ist, liegt auch daran, daß die deutschen Zoos sich schwer tun, von alten Konzepten abzuweichen. Da nützen größere Freigehege gar nichts. Ansätze zum anderen Zooerlebnis sind allerdings auch schwer, wenn die neuen Zuschauermagneten die kommerziellen, privaten Abenteuer- und Erlebnisparks sind. Wegweisendes versuchte der Berliner Zoo mit einer neuen Anlage für Seevögel, versteckt links vom Haupteingang. Durch Plastikvorhänge geht es direkt an den Strand. Das kleine Gestade mit Sand, Steilküste, freifliegenden Vögeln und künstlichem Meeresrauschen ist sowohl artgerecht als auch erholsame Illusion.
In den letzen Jahren quälten die Zoos auch ganz andere Sorgen. Die Löwenschwemme ist mittlerweile vor allem durch empfängnisverhütende Mittel eingedämmt. Daß das den Tieren auch noch ihre Lieblingsbeschäftigung in Gefangenschaft vermiest, gibt neue Probleme. Viele Tierarten müßten eigentlich in Gruppen gehalten und beschäftigt werden. Siegfried Kranemann: „Sonst fangen die irgendwann an zu spinnen.“ Vorbei ist es mit den stolzen Zoo- Philosophien vergangener Jahrzehnte, die freudig vermerkten, daß es Tieren, die sich derart vermehren, im Zoo einfach gut gehen muß. Und vorbei auch mit dem stetigen Hinweis, daß Tiere im Zoo sehr viel älter werden, als in Freiheit. Die Zoos werden zu regelrechten Altenheimen. Ungeliebte Bärengreise, alte Affen, methusalemsche Tiger blockieren Umgestaltungspläne.
Ein privater Freizeitpark im Taunus hat da seine eigenen Methoden. Alljährlich können die Besucher dort knuddelige, kleine Jungbären bestaunen. Die Besitzerin zieht die possierlichen Fellkugeln jedesmal — mit entsprechenden Fototerminen für Presse und Fernsehen — mit dem Fläschchen auf. Das „Ah“ und „Oh“ ist entsprechend. Die Frau erläuterte ihr Tun recht plausibel. Wenn die Bärchen bei der Bärin bleiben, dann will sie es nicht mehr mit dem Bären treiben. Das soll sie aber, damit es eben im neuen Jahr wieder neue Bärchen gibt. Also müssen die Jungen von der Mutter getrennt und von Hand aufgepäppelt werden. Sie werden dann, so die Besitzerin, legal an den Tierhandel verkauft. Ein hessisches Fernsehteam vermutete eine gewisse Kausalität, als es auf den Tellern eines Feinschmeckerlokals in Frankfurt- Sachsenhausen ebenfalls legalen Bärenbraten ausmachte.
Dorthin kommt der Nachwuchs öffentlicher Zoos nicht. Die Bären bekommen statt dessen Hormonimplantate. Schlachten und Verfüttern ist nach dem Tierschutzgesetz auch verboten. Und die Arten, die sich wie zum Beispiel die niedlichen Zwergziegen gut vermehren, sind auch schlechte Tauschobjekte im weltweiten Zookataster, das die genetische Vielfalt bedrohter Arten sichert. Jahrelang klagten Tierpfleger darüber, daß hinter den Kulissen der Zoos, in Kellern und auf Böden versteckt, der „Überschuß“ eingepfercht werden mußte. Das sei, sagen Mitarbeiter, inzwischen „besser geworden“. Schlachten aus Platzmangel würde auch die hessische Tierschutzbeauftragte nicht durchgehen lassen. Mitarbeiterin Jutta Schmitz: „Der Nachwuchs muß kontrolliert werden. Dann gibt es halt im Frühjahr keine niedlichen Jungtiere mehr.“ Sie weiß aber auch, daß es da „eine gewisse Grauzone“ gibt. Grundsätzlich sei sie dafür, nur noch Arten zu zeigen, „die sich für eine Zoohaltung eignen“. Und: „Die Bedürfnisse der Tiere müssen im Vordergrund stehen.“
Weitergehende Konzepte fordern für Affenherden genügend Raum zur Gruppenbildung und die Haltung von mehreren Tierarten in „natürlicher“ Lebensgemeinschaft. Nur dann könnten Besucher wirklich etwas über deren Verhaltensweisen erfahren. Das alles müßte nicht unbedingt mit immer neuen „Jahrhundertbauten“ wie dem Nachthaus in Frankfurt verbunden sein. Es ginge auch einfacher und schlichter. Dabei könnte sich eine mobile Bauweise immer wieder den neuesten Erkenntnissen anpassen. Affenkäfige zum Beispiel sollten wesentlich höher sein, als sie es meist sind. Die Erkenntnis, daß Affen gewöhnlich auf Bäumen sitzen, erforderte eigentlich nicht mehr Grundfläche, aber eben höhere Gehege.
Der Diskussionsansätze gibt es unterhalb der Direktorenebene mittlerweile viele. Die Affenpfleger treffen sich regelmäßig. Im Ruhrgebiet, einer Gegend mit hoher Zoodichte, gibt es einen Tierpflegerstammtisch. Der Zoo, meinen sie, trage zur Bewußtmachung der Probleme und zum „Image“ der Tiere bei. Das gelte eingeschränkt auch für die Wal- und Delphinschauen, obwohl die Tiere meist viel zu wenig Platz hätten: „Ohne Flipper keine weltweiten Proteste gegen den Walfang“. Und da sind die winzigen goldgelben Löwenäffchen, die in Frankfurt zur Welt kamen. Carsten Knott: „Ohne Zoos gäbe es die einfach nicht mehr.“ Früher wurden bedrohte Arten zu hohen Preisen von Tierhändlern erstanden, heute werden sie nachgezüchtet und außerdem vor Ort geschützt. Immerhin, sagen Optimisten, wachse nicht nur die Liste der bedrohten Arten, sondern auch die der Erfolge der Schutzprogramme. Die Tiere müßten aber in Freiheit besser beobachtet werden, um sie im Notfall nachzüchten zu können. Nur so sei zu erfahren, daß ein in Vietnam entdecktes, seltenes Hörnchen nur zusammen mit einer einzigen Pflanzenart überleben kann. – Nur der Schutz dieses einmaligen Lebensraumes kann das Hörnchen retten.
Während sich hierzulande dem Publikumsgeschmack entsprechend ein Wandel vom kahlen Käfig zur pflegeleichten und illusionistischen Ausstattung mit täuschend nachgebildeten Plastikpanoramen vollzogen hat, heißt die Devise anderswo bereits: Zurück zur Natur. Vorbildlich sind da dänische Zoos, die wieder zu natürlichem Boden für Huftiere zurückgekehrt sind, einen Zoopädagogen für die Tiere beschäftigen, Futter nicht mehr kleinschneiden und Affen über das Knacken einer ganzen Kokosnuß sinnieren lassen. In Holland darf Unkraut in den Gehegen wachsen. Die Affen wählen sich darunter aus, was ihnen bekömmlich ist. In anderen Ländern ist High-Tech angesagt. Den Bären wird in England die Lust auf Süßes schwer gemacht. Ein Rohrsystem pumpt die Leckerei in die Spitzen hohler Bäume.
Insider wissen von unterschwelligen Kontroversen traditioneller Zoodirektoren und einer neuen Generation junger Zoologen. Da nimmt sich der öffentliche Konflikt zwischen dem Frankfurter Interims-Zoodirektor Christoph Scherpner und Kulturdezernentin Linda Reisch eher unfreiwillig komisch aus. Während Reisch darüber nachsann, ob nicht vielleicht ein Bärenfell zum Anfassen am Bärenkäfig von pädagogischer Sinnlichkeit sein könnte und Grüne den Rückbau zu Streichelzoo und Muster-Bauernhof forderten, möchte Scherpner einige Zoo- Klassiker vorerst nicht missen: „Kinder lieben den Sumatra-Tiger.“ Psychologen wissen auch warum. Ein Tier, noch dazu eines, das als wild oder Raubtier gilt, hinter Gittern zu betrachten, das rührt an archaische Ängste und bannt gleichzeitig die Gefahr.
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