: Nach Geiselnahme PKK-Verbot verlangt
Bayerischer Innenminister ist stolz auf das unblutige Ende der Besetzung des türkischen Konsulats / Besetzer durch Motivforschung und „Vertrauensbasis“ beschwichtigt ■ Aus München Heide Platen
Bayerns Innenminister Günther Beckstein, erst acht Tage im Amt, war gestern vormittag sichtlich stolz auf sich. Das unblutige Ende der Geiselnahme am Donnerstag kurz vor Mitternacht sei vor allem der geschickten Verhandlungsführung der Behörden mit den 13 Geiselnehmern zu verdanken, mit denen der Polizeipsychologe eine „Vertrauensbasis“ aufgebaut habe. Beckstein übte gleichzeitig Politikerschelte für unbedachte Äußerungen, die die Besetzer über Radio hätten mithören können.
Dies gelte allerdings nicht für den gegen 20.15 Uhr eingetroffenen Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer, der sich „nahtlos in das Rollenspiel“ eingefügt habe. Schmidbauer hatte eine Stunde lang im Halbdunkel vor dem Haus mit den Männern verhandelt. Er hatte ihnen auch seinen Dienstausweis mit der Unterschrift von Kanzler Kohl gezeigt. Polizeipsychologe Trum: „Die wollten Kohl sehen.“ Entscheidend sei die „Motivlage“ gewesen, nämlich Öffentlichkeit für das Schicksal der Kurden. Man habe den Geiselnehmern klarmachen können, daß sie durch Gewalt ihrem eigenen humanitären Anliegen nur schaden.
Ob die Besetzer der Kurdischen Arbeiterpartei, der PKK, angehören, wie die Münchner Polizei als sicher annimmt, war gestern noch nicht endgültig geklärt. Innenminister Beckstein forderte während der Pressekonferenz ein umgehendes Verbot der PKK. Kritik türkischer Behörden und Medien an mangelnden Schutzmaßnahmen vor dem Konsulat wies er „massiv“ zurück. Das Konsulat sei mit Sicherheitsstufe eins bewacht worden. Die Polizei sei außerdem schon unterwegs gewesen, ehe Alarm innerhalb des Konsulats ausgelöst worden war: „Schneller geht es wirklich nicht mehr.“
Der Ablauf der Geiselnahme
Die Münchner Innenstadt war am Donnerstag ein einziges Verkehrschaos, nichts ging mehr. Eine der Hauptverkehrsstraßen, die Menzinger Straße in Nymphenburg, ist auf einige gespenstisch leere hundert Meter abgesperrt. An den Gittern vor der Brücke zur Nördlichen Auffahrtsallee und an der Dall' Armi-Straße drängen sich die Menschen. Münchner Schaulustige sind dabei, aber die meisten sind gekommen, um gegen die Besetzung des türkischen Generalkonsulats lauthals zu protestieren. Sie sagen, sie seien „keine Grauen Wölfe, sondern einfach türkische Bürger aus München“. Die Polizei kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die drei- bis vierhundert Menschen nur gar zu gern mit bloßen Händen und ohne einen Gedanken an die Folgen für die Konsulatsangestellten das Gebäude stürmen würden. Ein Agitator ruft die Parolen, die Menge klatscht rhythmisch, skandiert „PKK verrecke“ und „PKK raus“. Generalkonsul Kemal Gür wird zuerst mit Pfiffen und Buhrufen empfangen, versucht zu beschwichtigen. Die Lage entspannt sich. „Wir stehen hinter euch. Wir sind eure Soldaten“, versichern ihm die jungen Männer hinter der Barriere noch zum Abschied.
Die 13 Besetzer, die um 23.20 Uhr aufgegeben und die Botschaft mit erhobenen Händen verlassen hatten, hatten das Polizeigeleit in den roten Feuerwehrbus, das von Buh- Rufen und Pfeifkonzert begleitet wurde, offensichtlich bitter nötig. Polizeisprecher Walter Renner, der den ganzen Tag unermüdlich bis zur Heiserkeit Auskunft gab, nannte das Verhältnis zu ihnen im Laufe des Tages immer wieder „entspannt“. Am Morgen, kurz nach der Besetzung gegen 8.50 Uhr, sei das noch anders gewesen: „Da waren die sehr nervös“, hätten mit Waffen und Sprengstoff gedroht. Die jungen Männer waren, haben sie inzwischen ausgesagt, aus Stuttgart angereist, hatten die Nacht in einem Park verbracht. Am Morgen stellten sie sich als erste in die Schlange der Wartenden vor dem Konsulat. Bewacht wurde es immer nur, so Renner, „von einem oder zwei Polizisten“. Personenkontrollen hätten nicht stattgefunden. Der kahle Bau liegt etwas zurückgesetzt, unübersichtlich hinter hohen Bäumen versteckt. Nachdem die Besetzer die Botschaftsangehörigen in ihre Gewalt gebracht hatten, flohen die übrigen Besucher in Panik aus dem Haus. Nur wenige Minuten später war die Polizei da. „Scharfschützen“, so ein Beobachter, „hätten sich dann auch gleich auf den Häusern gegenüber gedrängt wie eine ganze Dachdeckerinnung“.
Ob und womit die Besetzer bewaffnet waren, ließ sich bis vormittag nicht eindeutig klären. Gedroht hatten sie jedenfalls, so Renner, mit Sprengstoff. Eventuell sei an einem Fenster auch der Lauf einer Maschinenpistole zu sehen gewesen. Die im Laufe des Tages nach und nach freigelassenen Geiseln, ein Mann und elf Frauen, berichteten von „Faustfeuerwaffen“. Ob diese allerdings aus den laut Auskunft von Konsul Gür vorhandenen Beständen der Botschaft stammten, oder ob die Besetzer sie mitgebracht hatten, blieb ebenfalls unklar. Die botschaftseigene Maschinenpistole hatten sie jedenfalls nicht gefunden. Sichergestellt wurden eine Pistole, ein Revolver, 2 Gaspistolen, eine Sprühdose und ein Klappmesser. Gür selbst hatte gesagt, im Haus seien außer der MP drei Faustfeuerwaffen. Ihm war gegen Mittag mit seiner Frau und einigen Angestellten die Flucht aus einem Nebengebäude seiner Privatwohnung, gelungen.
Die bis zuletzt festgehaltenen zehn männlichen Botschaftsangehörigen mußten sich, bevor die Besetzer aufgaben, im Gebäude einem Gruppenbild eines Fotografen der Münchner Abendzeitung stellen. Die Besetzer wollten damit belegen, daß sie den Männern kein Haar gekrümmt hatten. Außerdem hatten sie sich nach langen Verhandlungen bereit erklärt, auf den zuerst geforderten Auftritt von Bundeskanzler Helmut Kohl im Fernsehen zu verzichten, wenn dieses Blatt statt dessen ihre Forderungen veröffentliche.
Insgesamt hatten sie im Laufe des Tages zwölf Geiseln, elf Frauen und einen Mann, gehen lassen. Eine der Frauen stand unter Schock. Der Mann hatte einen Herzanfall erlitten. Die Geiselnehmer stammen, bis auf einen in Beirut geborenen Staatenlosen, alle aus Kurdistan. Sie sind zwischen 20 und 36 Jahre alt und wurden gestern dem Haftrichter im Bundesgerichtshof vorgeführt. Polizeipräsident Koller teilte mit, daß es keine rechtliche Handhabe der Auslieferung gebe. Zuerst einmal müßten sie sich wegen „schwerer Verbrechen“, u.a. Nötigung von Verfassungsorganen verantworten.
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