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Völkermord als Lehrbeispiel

Ein Thüringer Ministerialrat verglich den Völkermord an den Juden mit besonders effizientem Wirtschaften / Einen Fehler kann er darin nicht entdecken  ■ Aus Erfurt Henning Pawel

„Mit weniger Gas mehr Juden.“ Mit diesem „anschaulichen Beispiel“ machte das Mitglied des Thüringer Landesrechnungshofes, Ministerialrat Hans-Peter Kalusche, den Teilnehmern eines Lehrganges für Finanzbeamte deutlich, was effizientes Wirtschaften heißt.

Lehrgangsteilnehmer, aus Angst, ihre Probezeit zu gefährden, hatten während der Veranstaltung geschwiegen, anschließend aber unverzüglich den Fraktionsvize der SPD Thüringens, Kurt Weyh, von den infamen Äußerungen informiert. Der bezeichnete das Verhalten Kalusches, eines der sechs Abteilungsleiter am Thüringer Landesrechnungshof, als Verbreitung faschistischen Gedankenguts und forderte die Reierung auf, unverzüglich Stellung zu nehmen.

Kalusche hat sein Zitat mittlerweile derart begründet, daß es ihm mit dem Beispiel lediglich um Kritik an einer Wirtschaftlichkeit als formales Prinzip gegangen sei. Er wollte nur deutlich machen, daß dieses Prinzip, wenn es nicht ethisch eingebunden ist, zur Perversion führen kann. Außerdem, so der Autor weiter, stamme das Beispiel ja gar nicht von ihm, sondern er habe es ebenfalls während eines Lehrganges im Jahre 1987 aus Unterrichtsblättern der Bundeswehr vermittelt bekommen.

Der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde in Thüringen, Scharf- Katz, hat inzwischen protestiert und erklärt, der Vorgang werfe ein bezeichnendes Licht auf die geistige Verfassung der Republik, gerade nach den ausländerfeindlichen Vorgängen der letzten Wochen.

In scharfer Form wandte sich auch Dr. Gottfried Müller, CDU, Thüringer Parlamentspräsident, gegen diese Art der Lehrgangsgestaltung. „Vorausgesetzt, dieses Zitat ist so gefallen und seine eindeutige Einordnung, seine Elativierung erst nach diesem Proteststurm geschehen, dann ist das ein Fall für den Staatsanwalt“, erklärte der Politiker gestern gegenüber der taz.

Auch der Sprecher der Bürgerbewegungen im Thüringer Landtag, der Abgeordnete Gerhard Wien, sprach von einem ungeheuerlichen Vorfall. Beängstigend sei auch der Umstand völliger Abwesenheit der nun schon so oft geforderten Zivilcourage. Wer solle dem prügelnden Mob denn überhaupt entgegentreten, wenn schon Beamte nicht den Mut haben, gefahrlos einem solchen Lehrer ins Wort zu fallen?

Der Präsident des Thüringer Landesrechnungshofes sieht dagegen in Kalusche einen aufrechten Demokraten, der ein unglückliches Beispiel gewählt hat. Gründe für ein Disziplinarverfahren gegen seinen aus Hessen stammenden Abteilungsleiter sieht er jedoch nicht. Das Parlament von Thüringen wird sich am kommenden Donnerstag in Erfurt auf Antrag der Sozialdemokraten mit dem Fall beschäftigen.

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