: Kiez-Säuberung mit Drohungen?
Linksradikale versuchen, Bewohner von Dachgeschossen in Kreuzberg und Neukölln einzuschüchtern / Autonome Gruppe schickt blutrünstige Drohungen an angebliche „Kapitalisten“ ■ Von Severin Weiland
Bewohner von Dachgeschoßappartements in Kreuzberg und Neukölln werden seit Wochen von einer autonomen Gruppe namens „Klasse gegen Klasse“ bedroht. Offenbar werden die Betroffenen dabei gezielt ausgesucht und namentlich angeschrieben.
Prominentestes Opfer ist Helga Korthaase (SPD), Staatssekretärin in der Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen. Die 55jährige, die seit zwei Jahren in Kreuzberg ein Dachgeschoß bewohnt, erhielt Anfang Juni einen an sie und ihren Lebenspartner adressierten Brief, in dem indirekt Aktionen für den Fall angedroht werden, daß die „Dachgeschoßschmarotzer“ (O-Ton) nicht das „proletarische Terrain“ verlassen würden. Weiter heißt es in dem Schreiben, das vom 2. Juni datiert ist: „Der Krieg ,Klasse gegen Klasse‘ kommt bald auch in Eure Straße.“
Ihrem Nachbarn, der ebenfalls ein Schreiben der Gruppe zugeschickt bekommen hatte, wurde schließlich in der Nacht zum 11.Juni, in unmittelbarer Nähe des Hauses, von Unbekannten der BMW in Flammen gesetzt. Ein paar Tage darauf, so schilderte Korthaase gestern gegenüber der taz, seien schließlich an der Haustür zwei weitere Flugblätter der Gruppe aufgetaucht. Auf den Pamphleten, die der taz vorliegen, heißt es, man werde erst dann „glücklich sein, wenn der letzte Kapitalist mit den Gedärmen seines letzten Handlangers aufgehangen wurde“. Wie Korthaase weiter berichtete, habe sie dieselben Flugblätter an Haustüren in ihrer Kreuzberger Straße gesehen, in denen Dachgeschoßausbauten vorgenommen wurden. Der polizeiliche Staatsschutz, der die Ermittlungen führt, wollte sich gestern nicht zu dem Thema äußern. „Es gibt derzeit keine weiteren Informationen, als die, die bekannt sind“, so ein Polizeisprecher. Anfang der Woche hatte der Staatsschutz gegenüber der SFB- Fernsehsendung „Abendschau“ bestätigt, daß in den letzten zwei Wochen bei 18 Dachgeschoßwohnungen in Kreuzberg und Neukölln Schreiben der Gruppe „Klasse gegen Klasse“ eingegangen seien. Die Gruppe ist in Kreuzberg seit längerer Zeit aktiv. Erst vor einigen Monaten wurde auf das Kreuzberger Restaurant „Exil“ mit einer sogenannten Kübelaktion ein Anschlag verübt. Wenig später ging dem Besitzer ein Flugblatt der Gruppe „Klasse gegen Klasse“ zu, in sein Lokal wurde eingebrochen und Buttersäure versprüht. Die Gruppe gehört offensichtlich zum radikaleren Flügel innerhalb der autonomen Szene. In einer im Frühjahr der taz zugeschickten Broschüre mit dem Titel „Klasse gegen Klasse“ werden andere autonome Gruppen heftig kritisiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen