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Wurde Grams exekutiert?

■ Augenzeugin: Polizisten erschossen ihn aus nächster Nähe / Obduktion stützt ihre Version

Berlin (taz) – „Der Mann lag reglos auf dem Gleis... Ich dachte schon, der Grams sei tot. Dann traten zwei Beamte an den reglos daliegenden Grams heran. Der eine Beamte bückte sich und schoß aus nächster Nähe mehrmals auf den Grams. Dabei sah der schon wie tot aus. Der Beamte zielte auf den Kopf und schoß, aus nächster Nähe, nur wenige Zentimeter vom Kopf des Grams entfernt.“ Der 40jährige Wolfgang Grams, mutmaßliches Mitglied der RAF, ist nach dem Bericht einer Augenzeugin bei der Schießerei am Sonntag auf dem Bahnhof in Bad Kleinen von einem Polizeibeamten offenbar gezielt aus nächster Nähe erschossen worden. In einer eidesstattlichen Erklärung, die die Augenzeugin gegenüber dem Fernsehmagazin Monitor abgab, berichtet die in Bad Kleinen wohnende Frau weiter, sie habe bei der Festnahmeaktion der Grenzschutzsondereinheit GSG-9 zuerst an einen Streich von Jugendlichen, an Silvesterknaller gedacht. Dann sei plötzlich „Halt, stehenbleiben!“ gerufen worden – unmittelbar danach sei wieder geschossen worden.

Auch der zweite Beamte, der an den auf dem Gleis liegenden Grams herangetreten sei, habe auf Grams geschossen, „aber mehr auf Bauch und Beine“.

Die Darstellung der Augenzeugin deckt sich mit den Angaben des ersten Obduktionsberichtes vom Montag in Schwerin. Aus dem Bericht, der dem Anwalt der Eltern des getöteten Grams vorliegt, geht hervor, daß der tödliche Schuß entweder aus „unmittelbarer Nähe“ oder als „aufgesetzter“ Kopfschuß abgegeben wurde. Belegt werde dies durch Schmauchspuren, die an der Schläfe des Leichnams gefunden wurden. Die Staatsanwaltschaft in Schwerin hat inzwischen die Ermittlungen aufgenommen.

Das Bonner Innenministerium behauptete gestern, daß die Beamten der Anti- Terror-Einheit GSG-9 keinen Schuß aus „allernächster Nähe“ abgegeben hätten. An der Schießerei, bei der ein Mitglied der GSG-9 von Wolfgang Grams erschossen und Birgit Hogefeld festgenommen wurde, war auch das Mobile Einsatzkommando des Bundeskriminalamtes beteiligt.

Die Bundesanwaltschaft, die über die Schießerei in Bad Kleinen aus „fahndungstechnischen Gründen“ eine Nachrichtensperre verhängt hat, gab auch gestern keine Stellungnahme ab. Lapidar hieß es, nur die Staatsanwaltschaft Schwerin, die das „Todesermittlungsverfahren“ führe, könne Auskunft geben. Die dortige Behörde bestätigte aber nur die Ermittlungen, über ein schriftliches Obduktionsergebnis verfüge sie noch nicht. Vor dem Innenausschuß des Bundestages hatte Generalbundesanwalt von Stahl sich am Mittwoch auch geweigert, zu Berichten Stellung zu nehmen, nach denen ein verdeckter Ermittler mit den beiden RAF-Mitgliedern sich vor der Festnahmeaktion in der Bahnhofsgaststätte aufgehalten hat.

Die Anwälte von Birgit Hogefeld erstatten gegen die Karlsruher Behörde Strafanzeige, weil sei „wissentlich“ falsche Informationen verbreitet habe. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Wilfried Penner bezeichnete von Stahl als „Sicherheitsrisiko“. wg

Tagesthema Seite 3, Kommentar Seite 10

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