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■ Tour d' EuropePapier ist geduldig

Wie ist die rechtliche Lage von Kindern in Europa? In Frankreich herrschte lange das napoleonische Konzept vor, wonach das Kind rechtsunfähig ist. Heute geht die Justiz davon aus, daß es eine begrenzte Rechtsfähigkeit hat. Es muß zunächst einmal geschützt werden – vor sich selbst und vor anderen. Das Zivilrecht sieht vor, daß ein Kind den Jugendrichter anrufen kann, „wenn seine Gesundheit, Sicherheit oder Sittlichkeit in Gefahr sind, oder aber die Bedingungen für seine Erziehung“. Im Fall von Adoption muß ein Kind über 13 seine Zustimmung geben.

Das Mitspracherecht in allen Belangen, in denen es um sie selbst geht, ist Kindern in Großbritannien erst seit der Reform des Kindergesetzes im Jahr 1991 zugesprochen worden. Eine der wichtigsten Neuerungen: Ein Kind kann jetzt die Scheidung von seinen Eltern beantragen. Doch neben dem Zuckerbrot will die Regierung in London ihren jungen BürgerInnen künftig auch die Peitsche geben: Wegen der hohen Kinderkriminalität sollen demnächst auch Zwölfjährige in den Knast gesteckt werden können.

In Portugal gibt es kein Ministerium, das für Kinder und Jugendliche zuständig ist, sondern lediglich ein Staatssekretariat für Jugendfragen. Auf Initiative des Arbeitsministers Silva Penedahin hat das portugiesische Parlament Anfang dieses Jahres die Altersgrenze, ab der Kinder arbeiten dürfen, von 14 auf 15 Jahre heraufgesetzt. Anfang 1997 soll sie auf 16 Jahre angehoben werden.

Auch in Griechenland dürfen Kinder erst ab 15 arbeiten. Dennoch ist in den vergangenen vier Jahren die Kinderarbeit auf das Doppelte angestiegen. 4.387 arbeitende Kinder, davon 3.246 Jungen, wurden in Griechenland im vergangenen Jahr registriert. Doch die Dunkelziffer liegt weit höher.

In den Niederlanden ist Kinderarbeit verboten. Damit die Rechte der Kinder auch eingehalten werden, gibt es in Amsterdam sogar einen „Kinderrechtswinkel“. An den können sich Kinder wenden, die aus der Schule geflogen sind, um ihren Aushilfslohn betrogen oder von den Eltern schlecht behandelt worden sind.

In Rußland steht es rein juristisch betrachtet mit den Rechten der Kinder zum allerbesten – die Gesetzeslage entspricht den UN- Konventionen. Beim Übergang vom Staatssozialismus zum Kapitalismus sind jedoch die Kinder hier – wie alle sozial Schwachen– die Verlierer. Während das Recht auf Ausbildung im Nachkriegsrußland praktisch als einheitlicher Anspruch auf eine zehnklassige Ausbildung bis zum 16. Lebensjahr ausgelegt wurde, besteht jetzt für Bildungsinstitutionen die Möglichkeit, lernschwache SchülerInnen über 14 einfach „abzuschreiben“ – dies ist der offizielle Ausdruck.

In der Türkei sind eine Reihe von Gesetzen zum Schutz von Kindern erlassen worden. Doch Papier ist geduldig, und viele Kinder fristen unter erbärmlichen Bedingungen ihr Leben. Vermutlich arbeiten Zehntausende Kinder illegal.taz

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