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Magdeburger Kabinettsbespitzelung vor dem Ausschuß

■ Die geheimdienstlichen Nachforschungen über Sachsen-Anhalts Umweltminister Rauls waren von der Staatskanzlei zwar nicht explizit angeordnet, aber geduldet

Magdeburg (taz) – Die Hauptdarsteller hatten ihren Auftritt: Unmittelbar vor der Sommerpause erschienen Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Werner Münch (CDU) und sein Stellvertreter Wolfgang Rauls (FDP) vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuß, der klären soll, ob der Regierungschef seinen Vize ausforschen ließ, nachdem im Sommer 1991 zweifelhafte Gerüchte über seine angebliche Stasi- Vergangenheit aufgetaucht waren. Die sogenannte Ausspähaffaire hatte Münchs Chefsessel im August vergangenen Jahres bedenklich ins Wackeln gebracht.

Um so selbstsicherer und gut vorbereitet trat Münch jetzt als Zeuge vor den Ausschuß. Weder er noch ein Mitglied seines Kabinetts hätten dem Verfassungsschutz jemals einen Auftrag gegeben, in Rauls Vergangenheit herumzuschnüffeln, wiederholte Münch sein Dementi eines Spiegel- Artikels vom August letzten Jahres. Ein solcher Münch-Auftrag war auch nicht notwendig. Denn nach diversen Gesprächen mit hohen Regierungsbeamten fühlte sich der Resident des Bundesamtes für Verfassungsschutz in Magdeburg, Jürgen Schaper, an seiner Geheimdienstlerehre gepackt. Ganz ohne expliziten Auftrag setzte er sich auf die Spur des Umweltministers. Er habe nach diversen Gesprächen in der Staatskanzlei „den Eindruck“ gehabt, „daß man von mir einfach erwartete, Vorschläge zu unterbreiten und diese auch auszuführen“, betont Schaper in einer persönlichen Erklärung, die der taz vorliegt. „Die Haltung meiner Gesprächspartner war (...) die, die Angelegenheit so schnell wie möglich erledigt zu wissen.“

Solche Eile tat not, denn wenige Wochen zuvor hatte Münch schon Europa-Minister Gerd Brunner (FDP) und Landwirtschaftsminister Otto Mintus (CDU) wegen Stasi-Tätigkeit in die Wüste schicken müssen. Dann kamen von verschiedenen Seiten die Rauls-Gerüchte. Selbst der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Werthebach, informierte Münch Anfang August 1991 eher nebenbei und ohne nähere Details, daß es Erkenntnisse über eine mögliche MfS-Verbindung von Rauls gebe.

Kein Wunder, daß Münch den im vorauseilenden Gehorsam angestellten Nachforschungen Schapers keine Grenzen setzte. Mehr als drei Monate forschte Schaper hinter Rauls her und erstattete regelmäßig Bericht, gab der Staatssekretär im Innenministerium, Hans- Peter Mahn, vor dem Ausschuß zu – ohne jede Rechtsgrundlage.

Die Ergebnisse der Schaper- Recherchen landeten auf den Schreibtischen von Innenstaatssekretär Hans-Peter Mahn und dem damaligen kommissarischen Chef der Staatskanzlei, Rolf Schnellecke. Schnellecke war tatsächlich in der Staatskanzlei für die Stasi- Überprüfung auch der Regierungsmitglieder zuständig. Aber nur für die Minister ohne Landtagsmandat, also nicht für Rauls, der für die FDP im Magdeburger Parlament sitzt. Den Umweltminister hatte der Sonderausschuß des Landtags zu überprüfen und ihm gerade einen Persilschein ausgestellt. Aber der Sonderausschuß hatte in Münchs Augen offenbar keine ausreichende Kompetenz. Von den Gerüchten über die Rauls-Vergangenheit und den von Münch zumindest geduldeten Nachforschungen Schapers erfuhr der Ausschuß nichts.

„Der Untersuchungsausschuß sollte klären, ob er den Verfassungsschutz mit Nachforschungen beauftragt habe“, ereiferte sich Münch in seiner Vernehmung. Jetzt werde er vorwurfsvoll gefragt, warum er die Aktivitäten Schapers nicht gestoppt habe. „Ich hatte nichts zu stoppen. Wir haben weder Nachforschungen des Verfassungsschutzes in Auftrag gegeben, noch habe ich direkten Kontakt zu Schaper gehabt.“ Das war auch nicht nötig. Zuständig für diese Kontakte war Ministerialdirigent Rolf Schnellecke, auf den Münch jetzt offenbar alle Verantwortung abzuschieben versucht. Schnellecke kann nichts mehr passieren. Der Beamte hat den Dienst quittiert, um sich mehr um sein privates Speditionsunternehmen in Wolfsburg zu kümmern.

Ganz so unbeteiligt kann Münch aber doch nicht gewesen sein. Der Spiegel zitiert in seiner jüngsten Ausgabe einen Christdemokraten aus der engeren Umgebung des Ministerpräsidenten. Danach sei in kleiner Runde gefordert worden, „alle Möglichkeiten auszuschöpfen“, um Zweifel an Rauls auszuschließen, „inklusive Einschaltung von Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst“. Wie schön, daß Verfassungsschützer Schaper, der in Sachsen-Anhalt als Chef eines künftigen Landesamtes Karriere machen wollte, ganz von sich aus tätig wurde. Und auch dem Vorsitzenden des Magdeburger Bürgerkomitees zur MfS-Auflösung, Jürgen Vogel, war der Wunsch des Ministerpräsidenten nach weiteren Informationen zu Rauls ein Befehl. Ohne daß ausdrücklich ein Auftrag erteilt worden sei, so Vogel vor dem Ausschuß, habe Münch in einem Gespräch im September 1991 um Übersendung aller Informationen des Bürgerkomitees gebeten. Eberhard Löblich

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