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„Deutschland ist wie ein Fluß“

Gesichter der Großstadt: Die französische Malerin Nicole Monteran lebt seit 25 Jahren in Berlin / Deutschland wurde nach '89 Thema ihrer Bilder  ■ Von Anita Kugler

Ein wenig erinnert Nicole Monteran an Pippi Langstrumpf. Zwar hat sie keine steil vom Kopf abstehenden roten Zöpfe und auch kein Pferd und wohnt auch nicht in einer Villa Kunterbunt, aber Ähnlichkeiten gibt es trotzdem. Genau wie die ideelle kleine Schwester ist sie „Sachensucherin“, und ihre Wohnung mit S-Bahn-Blick in Charlottenburg ist vollgekramt mit Schätzen, die sie auf dem früheren Polenmarkt gefunden hat. Aber wichtiger noch: Nicole ist lebendig, sehr neugierig, ganz und gar undogmatisch und sammelt nichts lieber als Erfahrungen. In Deutschland tut sie das seit 1967.

Weil sie sich in „einer prachtvolles Arisches, blondes Preußen“ verliebte, verließ die brünette Französin mit dem heute immer noch krausen Deutsch Paris und zog im „Liebeskoma“ nach Berlin. Die Ehe hielt gerade mal vier Jahre, und als der blonde Preuße aus ihrem Leben zog, stand sie mit zwei kleinen Kindern da, krempelte die Wohnung um, verlegte das Schlafzimmer in die Küche und den Herd ins Atelier, holte tief Luft und sagte: „Ich war Malerin, bin Malerin, ab jetzt bin ich frei.“ Natürlich auf französisch.

Und Malerin ist Nicole Monteran geblieben. Keine sehr erfolgreiche, wenn das Bankkonto die Meßlatte ist. Weil die Käufer ihr nicht die Wohnung einrannten, um Öl auf Leinwand und Acryl auf Rollos und Paravents abzukaufen, und die Kinder von Kunst alleine nicht satt wurden, fing sie an zu jobben. Sie putzte fremde Wohnungen, erteilte Französisch- Nachhilfestunden, verkaufte in „vornehme Laden“, schmierte Brötchen in Frühstücksküchen, zapfte Bier an vielen Tresen, absolvierte als die Kinder in die Schule gingen eine Tischlerlehre und entwarf Plakate für Werbeagenturen.

Nachts malte sie wie eine „Verrückte“ und eigenwillig genug, um ab 1984 jedes Jahr an der Freien Berliner Kunstausstellung teilzunehmen. Ihre Bilder wanderten mit Gemeinschaftsausstellungen in die USA und brachten viele Dollarschecks. Das fand sie so begeisternd, daß sie ihren Bildern beinahe für immer hinterher gezogen wäre. Aber weil inzwischen ihr Deutsch besser als ihr Englisch klang, und die frankophilen Freunde in Berlin immer zahlreicher wurden, verschob sie die Entscheidung jeden Morgen aufs neue.

Und dann kam die Wende, „einen wahnsinnigen Gefühl mit Unmenge von Aufregungen“ und neuen Freunden am Prenzlauer Berg. Was für eine Herausforderung, sagte sie sich, „ich als Ausländerin, seit 25 Jahren in Berlin, eine bißchen deutsch geworden, aber mehr noch international, das war wie eine Fieber“. Die Veränderung in Deutschland wurde zu ihrem Thema und ist es bis heute geblieben. Das war eine Zeit, meint Nicole, „da durfte man die Kunst nicht in Rahmen sperren und in die Galerie einschließen“, denn alle Menschen waren in Bewegung und auf der Straße.

Und als kurz nach der Währungsunion ein junger Prenzlauer sich mit Grillwürstchen in freier Marktwirtschaft versuchte, malte sie ihm mit leuchtenden Farben und großzügigen Pinselstrichen die Imbißbude an. Sie steht heute noch auf der Schönhauser Allee, nur die rot-grün-blauen Comic-Figuren sind etwas blaß geworden.

Aber das paßt sehr gut zu dem, wie sie Deutschland heute sieht. „Das Land ist wie eine große dunkle Fluß“, sagt sie und so ein Fluß sei unberechenbar, wenn er sich ein neues Bett sucht. Einer ihrer letzten Bilderzyklen heißt „Gezeiten“. Immer noch sind alle Menschen in Bewegung, aber ihr Schwung wird gebremst durch Fabelwesen, von denen niemand weiß, ob sie schützen oder bedrohen. In einer Ecke des Bildes ist mit schwarz-blauen Pinselstrichen das Brandenburger Tor stilisiert, davor ein dunkles Gesicht mit leeren Augen und schreiendem Mund, die Haare leuchten im Feuer. Dieses Bild hat sie vor Mölln gemalt. Seit es wirklich in Deutschland brennt, malt sie nicht mehr Flammen, sondern naiv scheinende, ineinander fließende Menschen, die mit skelettierten Fingern Halt suchen und dabei die Zähne zeigen.

Vor kurzem feierte Nicole ihren 50. Geburtstag. „Zeit, um sich zu häuten“, sagt sie. Die Kinder sind aus dem Haus, die ABM-Stelle beim Kunstamt Charlottenburg läuft aus, die kunterbunte Wohnung will der Eigentümer selber haben, die Wechseljahre sind überstanden und „international“ kann sie auch in Algerien oder Südfrankreich denken, wo sie ihre Kinder und Jugendjahre inmitten einer großen Künstlerfamilie verbracht hat. „Ich will da sein, wo für alle von uns ist Platz.“ Aber dann entkorkt sie eine neue Flasche Bourdoux, steckt sich eine neue Gauloise ein, lacht in die Nacht und meint, daß morgen auch noch ein Tag sei.

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