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Fadenscheinig wie die Glasfaser

■ Schwarz-Schillings Kabel-Memoiren

Eine Fin-de-siècle-Stimmung macht sich in der deutschen Medienkritik breit, wenn es ums Fernsehen nach zehn Jahren Kommerz-TV geht. Seit die nivellierende Wirkung der Privatsender auf die öffentlich-rechtlichen Anstalten immer unübersehbarer wird, stimmen selbst CDU-Politiker in den Chor der Kulturpessimisten ein. Jetzt hat der Mann, dem wir den schönen, neuen Kabelpluralismus zu verdanken haben, sich offenbart: „Grenzenlose Kommunikation“ heißt die politische Bilanz des im Zorn geschiedenen Postministers Christian Schwarz- Schilling, die vom sturzreaktionären Frankfurter Institut für Medienentwicklung veröffentlicht wurde: Eine auf 200 Seiten ausgewalzte medienpolitische Sonntagsrede mit bemerkenswert niedrigem Informationsgehalt.

Wie die Verkabelung im Westen und Osten vor sich gegangen ist, erfährt man in dem Traktat des studierten Sinologen nicht; auch die Frage, warum die Post angesichts der effektiveren Satelliten- Schüssel überhaupt so massiv auf Glasfaser gesetzt hat, bleibt unbeantwortet. Stattdessen langweilt Schwarz-Schilling noch einmal mit den alten Verschwörungstheorien von den durch die Apo unterwanderten öffentlich-rechtlichen Anstalten, die im Auftrag geheimer Mächte „endlich den notwendigen Beitrag zur Systemüberwindung und Revolutionierung der bürgerlichen Gesellschaft erbringen sollten“. Die Privaten nahmen „mit Mut und Ausdauer den ungleichen Kampf“ gegen den staatlich gemästeten Rotfunk auf. Eine besonders groteske Behauptung des Autors: Dank RTL und Co. sei „der früher noch vorhandene Informationsvorsprung der ,Herrschenden‘ heute schon längst nicht mehr vorhanden“.

Die Impertinenz, mit der Schwarz-Schilling nochmal die alten Medienmärchen und Halbwahrheiten aufwärmt, ist erstaunlich. So gesehen ist „Grenzenlose Kommunikation“ ein historisches Dokument, das ich nicht, wie ursprünglich geplant, nach der Rezension dem Recycling anvertrauen werde. Ich werde es schön aufheben für den Fall, daß ich in ein paar Jahren nochmal nachlesen möchte, mit welchen fadenscheinigen Argumenten uns in den 80er Jahren eingeredet wurde, ausgerechnet Springer, Kirch und Bertelsmann könnten für mehr Meinungsvielfalt im deutschen TV sorgen. Tilman Baumgärtel

„Grenzenlose Kommunikation – Bilanz und Perspektiven der Medienpolitik“, IMK, 39,90 DM

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