: Kinkel gräbt seine RAF-Initiative aus
■ Auch Leutheusser will Entspannungspolitik wieder aufnehmen / Demos gegen Todesschuß
Berlin (taz) – Bundesaußenminister Klaus Kinkel will der nach ihm benannten, aber längst eingeschlafenen „Kinkel-Initiative“ neues Leben einhauchen. Der FDP-Vorsitzende kündigte beim Parteitag der bayerischen FDP am Wochenende an, die Versöhnungsinitiative wieder aufzunehmen, „sobald es irgendwie geht“. Kinkel reagierte damit offensichtlich auf das Schreiben der RAF vom vergangenen Freitag, in dem die Untergrundkämpfer nach der Erschießung und Festnahme der RAF-Mitglieder Wolfgang Grams und Birgit Hogefeld von einer „neuen Ausgangsbedingung“ sprechen.
Die Kinkel-Initiative sah vor, mehrere seit langem einsitzende RAF-Gefangene im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten vorzeitig aus der Haft zu entlassen. Die übrigen Gefangenen sollten, bis die nach der Strafprozeßordnung nötigen Voraussetzungen für eine Haftentlassung gegeben sind, in Gruppen zusammengelegt werden. Drei Monate nach Kinkels Vorstoß hatte die RAF einseitig eine „Deeskalationserklärung“ abgegeben und angekündigt, auf weitere Attentate gegen Spitzenvertreter aus Wirtschaft und Politik zu verzichten. Kinkels Initiative versandete aber anschließend, weil in Bonn der politische Wille zur Durchsetzung fehlte. Darüber hinaus wurde die Initiative beispielsweise durch die Einleitung von neuen Prozessen gegen RAF- Gefangene, die schon zu lebenslanger Haft verurteilt worden waren, sabotiert.
Kinkels Amtsnachfolgerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger erklärte am Wochenende, sie wolle ebenso nach Wegen suchen, wie die „Politik der ausgestreckten Hand“ fortgesetzt werden kann.
Unterdessen gehen die wechselseitigen Schuldzuweisungen und Rücktrittsforderungen weiter. Angeblich will Innenminister Manfred Kanther einen neuen Staatssekretär für die Innere Sicherheit ernennen. Im Gespräch ist der Leiter der Kölner Verfassungsschutzbehörde, Eckart Werthebach. Als Rücktrittskandidaten werden derzeit der Abteilungsleiter für Polizeiangelegenheiten im Innenministerium, Wolfgang Schreiber, der BKA-Chef Zachert und der Kommandeur der GSG 9, Jürgen Bischoff, gehandelt.
Wie der Anwalt der Eltern des erschossenen Grams in der Sendung Spiegel-TV erklärte, ist möglicherweise auch ein zweiter Nahschuß auf Grams abgegeben worden. In dem Gutachten der Rechtsmediziner gebe es Hinweise auf Stanzmerkmale an einer Wunde am Bauch des Leichnams. Rund 250 Personen demonstrierten gestern nachmittag in Bad Kleinen. Sie trugen Transparente mit Aufschriften wie „Vom Staat ermordet“, „Rechts regiert, links krepiert“ und zogen auf den Bahnsteig, auf dem Grams erschossen wurde. In der Bahnhofsunterführung sollte später eine Gedenktafel angebracht werden. wg Seiten 4 und 10
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