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Die Regisseurin der Fantasie

■ Im Überseemuseum: Saher Khanaqua, Märchenerzählerin aus Kurdistan, läßt die Kinder selber fabulieren / „Ich bin keine Märchentante“

Sie hat es von ihrer Großmutter: „Jeden Abend haben wir 13 Kinder aus drei Familien uns bei ihr versammelt. Sie war so! breit und ist 99 Jahre alt geworden! Wir drängelten uns an sie, ich selbst lag oft auf ihrem Schoß. Großmutter hat mir über den Kopf gestreichelt und uns Märchen erzählt.“ Märchen, die in keinem Buch zu finden sind.

Nun ist Saher Khanaqua selbst eine Märchenerzählerin geworden. Eine, an deren Geschichten die Kinder miterzählen. Zweimal die Woche, dienstags und donnerstags lädt sie Fünf- bis Zehnjährige ins Bremer Überseemuseum. Dort ist noch bis Semptember die Unicef-Ausstellung Kinder sind k(l)eine Menschen zu sehen. Und ganz am Ende der Ausstellung hat Saher Khanaqua eine kleine Ecke eingerichtet.

Dort erzählt sie vor allem Märchen, die aus ihrer Heimat Irakisch-Kurdistan mitgebracht hat. „Ich bin aber keine Märchentante“, lacht die junge Frau. Sie läßt sich auf den Kissenberg plumpsen und zieht die Beine zu sich heran. „Ich bin mal Hexe, mal Schlange, mal Kioskbesitzer. Den Verlauf eines Märchens jedoch bestimmen die Kinder jeweils selbst.“

Diese sollen sich erst mal fallen lassen und entspannen können, nachdem sie in der Ausstellung vom Leben der Kinder in Dritte-Welt-Ländern erfahren haben. Von Familie und Freundschaft, aber auch von Hunger, Krieg und Tod. Oft liegen die Kinder ganz erschlagen unter all den roten, gelben und violetten Kissen.

Saher Kanaqua: Die Brüder Grimm mag sie nicht. Kinder dürfen bei ihr ruhig böse sein. Foto: Jörg Oberheide

Zunächst dürfen immer die Kinder reden — erst dann gibt die Märchenerzählerin den Anfang, versucht, die vielen Ideen aufzugreifen, bezieht alle mit ein, läßt sie weitererzählen und Situationen nachspielen. Wie ihre Großmutter früher, die an besonders kühlen Abenden den Prinz aus den kalten hohen Bergen geholt hat. Es ist, als ob die Erzählerin

selbst nur die Regie führte. Schon oft haben sich auf diese Weise Spannungen und Probleme in der Gruppe gelöst: Zwei Geschwister vertragen sich nicht — was könnte ihnen helfen? „Ein Ball! „

Schnell muß Saher Khanaqua jetzt noch dies Märchen weiter zu Ende erzählen. Wild gestikuliert sie, schlingt Kissen um sich

hierhin bitte das

Foto mit der Orientalin

in den Kissen

und wirft ihr langes Haar zurück. Auch die Kinder dürfen bei ihr wild sein, böse sein, aggressiv. Kein Gefühl soll unterdrückt werden. Einem Jungen, der die Prinzessin aus der Geschichte unbedingt töten will, spielt sie dann zum Beispiel diese Prinzessin in all ihrer Ängstlichkeit vor, um ihm zu zeigen, wohin seine Aggressivität führt.

Seit einigen Jahren arbeitet Saher Khanaqua im schulpsychologischen Dienst mit Kindern und Jugendlichen. Für die Abschlußarbeit zu ihrem Psychologiestudium ist sie letzten Winter in Kurdistan gewesen und hat dort Kinder auf Kriegstraumatisierung hin untersucht. Auch dort hat Saher Khanaqua 1001-Nacht-Geschichten erzählt. Und darüber hinaus mit den kurdischen Kindern gemalt oder im Puppenspiel Zugang zu ihren Ängsten gesucht.

„Mir ist wichtig, daß die Kinder mit dem Bösen umgehen lernen. Nicht so wie bei den Gebrüdern Grimm, wo das Böse stets nur bekämpft wird. Deshalb mag ich auch deren Märchen nicht so gern.“ Ansonsten aber liebt sie alle Märchen gleich welcher Herkunft. Die Erzählerin, interessiert sich im Moment besonders für indianische Rituale und hat natürlich ein gewisses Faible für die Geschichten aus Kurdistan. „Die spielen meist in den heiligen Bergen, handeln von Abschied und Wiederfinden und von den wachen Steinen, die alles wissen.“

Trotzdem hat sie keinen Märchenschatz, aus dem sie ganze Märchen schöpft. „Im Grunde sind die Kinder die Märchentanten und —onkels, ich gebe ihnen nur Gelegenheit dazu“, meint Saher Khanaqua. Bei den Älteren, die Märchen für „blöd“ halten, kommt dann eben mal ein Krimi raus. Silvia Plahl

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