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„Finale der ersten Etappe“

Russische Verfassungskonferenz billigt Verfassungsentwurf / Im August wird jedoch weiterdiskutiert / Unklar ist, welches Gremium die neue Verfassung verabschieden wird  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Mehrfach seit ihrem Zusammentreten im Juni kündigte Rußlands Verfassungsgebende Versammlung ihre abschließende Plenardebatte an. Immer wieder mußte sie verschoben werden. Neue Zwistigkeiten und Hürden wurden aufgebaut. Am gestrigen Montag sah es nun jedoch so aus, als hätten fast siebenhundert Delegierte gerade in jener Frage einen Kompromiß gefunden, die vorher die Gegner unversöhnlich gegeneinander aufgebracht hatte: Das Verhältnis zwischen der Exekutive, dem Präsidenten und der gesetzgebenden Gewalt. 433 Delegierte stimmten für den Entwurf der zukünftigen russischen Verfassung. Jetzt jedoch rebellieren einzelne Regionen der Russischen Föderation. Sie wünschen eine Aufwertung und Stärkung ihres Status' gegenüber dem Zentrum.

Die Diskussion über das Gesamtprojekt wird so Anfang August fortgesetzt werden müssen. Jelzin bezeichnete das gestrige Treffen vorsichtig als das „Finale der ersten Etappe“. Wesentlichstes Ergebnis der bisherigen Arbeit sei die „Vereinigung der Kräfte“, die dem Kampf aller gegen alle eine Ende bereitet hätte. Die Republiken und autonomen Gebiete der Föderation versuchte er zu beruhigen. Moskau hege kein Interesse daran, ihnen seinen Willen aufzuoktroyieren.

Gerade hier liegt der Hase im Pfeffer. Eine Vielzahl der 88 Einheiten der Föderation mit einem Sonderstatus hat in den letzten Wochen eine außerordentliche Betriebsamkeit an den Tag gelegt. Und so enthält der nun verabschiedete Entwurf bereits eine Reihe Zugeständnisse an die aufmüpfigen Subjekte. Die Republiken erhalten das Recht, mit Moskau auf bilateraler Ebene Verträge zu schließen. Sie dürfen eigene Verfassungen annehmen, eine Staatsbürgerschaft einführen und ihre eigenen staatlichen Symbole führen. Die Republik Tartastan hatte diesen Weg als erste beschritten. Wichtiger jedoch sind die Forderungen, die aus den eigenen russischen Regionen stammen. Mittlerweile hat Jekaterinburg im Ural eine Republik „Südural“ ausgerufen. Der angrenzende Kreis Tscheljabinsk wird im September eine Abstimmung abhalten, ob seine Bewohner die Bildung einer Südrepublik befürworten. Ähnliches melden auch die Gebiete Perm und Tjumen, das reiche sibirische Erdölgebiet. Mehr Rechte verlangt auch die Diamantengrube des sibirischen Jakutien sowie die Region Wladiwostok im äußersten Osten der Föderation.

Ihnen allen ist eins gemein. Sie fordern die Aufwertung ihres staatsrechtlichen Status' auf die Ebene einer Republik. Eine Loslösung aus Rußland liegt ihnen keineswegs am Herzen. Während die Republiken nur fünf Prozent ihrer Einnahmen an das Föderationszentrum abführen müssen, beträgt die Tributpflicht der anderen Subjekte 60 Prozent.

Dennoch ist die territoriale Integrität Rußlands nicht gefährdet. Einerseits sind es Drohgebärden, die aus den Regionen kommen. Andererseits kann dem Zentrum an einer Neuordnung der Abgabenstruktur nur gelegen sein. Denn es würde helfen, bürokratische Wurmfortsätze in Moskau zu beseitigen.

Noch immer ist nicht geklärt, welches Gremium die neue Verfassung verabschieden wird. Der Volksdeputiertenkongreß hat sich bisher quergestellt. Sollten die Vertreter der Regionen das übernehmen, wie es Jelzin ursprünglich geplant hatte, könnte das die endgültige Entscheidung auf die lange Bank schieben. Sie werden mit ihrem Pfunde wuchern und Jelzins Gegenspieler Chasbulatow erneut hoffieren. Jelzins Spitzenjurist Sergej Schachrai deutete hingegen eine Interimslösung an: Die Verfassungsversammlung interpretiert das neue Dokument als eine „vorübergehende Verfassungsvereinbarung“, auf deren Grundlage Neuwahlen stattfinden können. Dem neuen Parlament obliegt es dann, die endgültige Version zu verabschieden.

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