■ Nach den Massakern von Mogadischu
: Ist die UNO-Intervention am Ende?

Erweist sich der Universalismus, der uns zur Idee der Weltgesellschaft geführt und der uns die Verantwortung für die Probleme dieser Welt hat schultern lassen, als moralische Falle? Werden wir, allabendliche Zuschauer aller bewaffneten Weltkonflikte, einer permanenten moralischen Erpressung zum humanitären Engagement ausgesetzt? Sollten wir uns von der Idee supranationaler Intervention zur Beendigung von Kriegen verabschieden, einem Projekt, das, wenn man einem zeitgenössischen Essayisten Glauben schenken darf, nur das Revers unserer Allmachtsphantasien ist, unseres säkularisierten Wunsches, Gott gleich zu sein? Die jüngsten Toten von Mogadischu, sowohl die Somalis, die den Bombardements aus UNO-Hubschraubern zum Opfer fielen, als auch die Journalisten, die von einer aufgeputschten Meute massakriert wurden, herrschen uns die Antwort auf diese Fragen auf.

Die Militäraktion der USA unter der Flagge der UNO vom Dezember 1992 in Somalia folgte aus einer neuen Völkerrechtsdoktrin: Ist ein Staat nicht mehr in der Lage, seine Bürger zu ernähren und zu schützen, verfallen seine Institutionen, versinkt er in Anarchie, so hat die Staatengemeinschaft (die UNO oder ihre regionalen Organisationen) die Pflicht, aus humanitären Gründen zu intervenieren. Die Resolution des Weltsicherheitsrats 794 autorisierte die USA und andere Staaten, „alle notwendigen Mittel“ einzusetzen, um so rasch wie möglich ein sicheres Umfeld für die humanitären Hilfsleistungen in Somalia zu schaffen. Der Vertreter der USA erklärte damals, daß die

Mission „im wesentlichen eine friedliche sei“ und

daß Gewalt nur eingesetzt würde, falls „dies not-

wendig sei, um das vorgegebene Ziel zu erreichen“.

– Von vorneherein war klar, daß die Intervention – ähnlich wie im Falle Kambodschas – das umfassendste denkbare Ziel verfolgen mußte: die Wiederherstellung einer legitimen Staatsgewalt. Entwaffnungsaktionen mußten mit dem gleichzeitigen Aufbau ziviler Strukturen und einer bedeutenden Wirtschaftshilfe einhergehen, was voraussetzte, daß auch die rivalisierenden Streitparteien einbezogen wurden. Indem die UNO-Streitkräfte ihren Hauptschlag gegen den Warlord Aidid führten, ja dessen Ergreifung zum vordringlichen Ziel der Intervention machten, wurden sie zwangsläufig Partei des Bürgerkriegs. Diese Strategie hat schließlich dahin geführt, daß die UNO-Truppen, weit davon entfernt, das Land mit Waffengewalt zu befrieden, auf wenige Stützpunkte zurückgeworfen sind. Die Intervention steht vor der Katastrophe.

Aber dieses verheerende Ergebnis war keineswegs zwangsläufig. Ihre fatale Wende erhielten die „Ereignisse“ in Somalia nur deshalb, weil von den USA und ihren Verbündeten der Eindruck verbreitet wurde, die Probleme des Landes würden sich binnen weniger Wochen oder Monate lösen lassen. Die Staatsleute des Westens wollten letztlich nur den Schein der Befriedung, eine billige, risikolose, kurzfristig wirksame, dabei Publicity-trächtige Lösung. Dieser Schein ist zerstoben. Wer aber jetzt dazu aufruft, die eigene Überforderung einzugestehen und sich aus dem Staub zu machen, sollte sich über die Konsequenzen eines solchen Ratschlags im klaren sein: Die Sicherheit zwischen den vier Wänden des eigenen Biedermeier- Häuschens wäre nur von kurzer Dauer. Christian Semler