: „Die gute alte Ceaușescu-Zeit“
Mit den wirtschaftlichen Problemen wächst in Rumänien die Politikverdrossenheit / Gegen Homosexuelle und Ausländer / Kaum Proteste gegen die Veröffentlichung von „Mein Kampf“ ■ Von William Totok
An einer Bukarester Straßenkreuzung bremst plötzlich ein Auto. Der folgende Wagen, gelenkt von einem Inder, fährt auf den Wagen eines Rumänen auf. Blechschaden. Die Gaffer sind sofort zur Stelle und beschuldigen natürlich den Inder, einen Verkehrsunfall gebaut zu haben. Immer lauter wird nach „Vergeltung“ gerufen: „Diese Krähen saugen uns aus!“ „Rumänien gehört jetzt den Fremden!“ „Haut der Krähe auf die Fresse!“ Ausnahmsweise ist die Polizei diesmal rasch zur Stelle. In letzter Minute hindert sie die aufgebrachten Passanten daran, den an dem Unfall unschuldigen Ausländer zu verprügeln. Der Inder wird abgeführt, die Personalien des Rumänen notiert.
Drei Jahre nach dem Sturz des Ceaușescu-Regimes sind Fremdenhaß, Intoleranz und offener Rassismus zu einer fast normalen Erscheinung in Rumänien geworden. Die Wirtschaftsreformen der nachrevolutionären Regierungen bescherten dem ausgelaugten Land nicht nur eine verheerende Rezession und Inflation, sondern auch die paradoxe Sehnsucht nach „der guten alten Ceaușescu-Zeit“. Rechtsextreme Rattenfänger haben Hochkonjunktur. Mit der Parole „Kauft nur in rumänischen Läden!“ wirbt die „Partei der Nationalen Rechten“ für einen „ethnokratischen Staat“, in dem die „Zigeuner in Reservaten isoliert werden sollen“. Das von Radu Sorescu, dem Chef dieser Partei, erträumte Groß-Rumänien müsse auch Odessa umfangen. „Darauf haben wir einen Anspruch!“
Derweil sonnen sich die Politiker in Selbstgefälligkeit. Auch jene aus der demokratischen Opposition, die ebenso wie die reformlahme Regierungspartei, die „Demokratische Front zur Nationalen Rettung“, in moralische und finanzielle Korruptionsskandale verwickelt sind, die von der Öffentlichkeit eher gelassen hingenommen werden. Die Politikverdrossenheit hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Selbst die noch vor knapp einem Jahr so aktuelle Wiedervereinigung Rumäniens mit der früheren Sowjetrepublik Moldowa läßt die Menschen kalt. Als der Oppositionsblock, der „Demokratische Konvent“, zu einer Solidaritätskundgebung mit einer Gruppe in der separatistischen Dnjestr- Republik inhaftierter Moldawier aufrief, war das Echo nur schwach.
Gleichzeitig verabschiedete das Parlament – auch mit den Stimmen der Opposition – kurz vor seiner Sommerpause ein eindeutig minderheitenfeindliches Gesetz, das nicht einmal die Menschenrechtsgruppen aus der Reserve lockte. Das Gesetz besagt, daß nur jene Familien staatliches Kindergeld erhalten, deren Kinder auch die Schule besuchen. Bekanntlich bleiben dem Unterricht meist Kinder aus Romafamilien fern. Demokratisch kaschiert, wurde so indirekt eine diskriminierende Maßnahme gegen Roma durchgesetzt. Lediglich einige Abgeordnete des „Demokratischen Konvents“ stimmten dagegen. „Alle wußten, worum es geht, aber keiner der Abgeordneten nannte das Kind beim Namen“, erklärte die sozialdemokratische Abgeordnete Smaranda Dobrescu. Sie ist eine von den 15 Frauen, die es bei den letzten Wahlen geschafft haben, einen der 483 Parlamentssitze zu erobern.
Offen angefeindet werden aber auch andere nationale und sexuelle Minderheiten. Ein Abgeordneter äußerte so im Parlament seinen Zorn über Homosexuelle und Lesben, die alle „ins Gefängnis gehören“. Dabei gilt in Rumänien nach wie vor Paragraph 200 des alten Strafgesetzbuches, wonach Homosexuelle mit Gefängnis bestraft werden. Gerade wenn es um unbequeme Personen geht, scheut die Justiz nicht davor zurück, den Paragraphen anzuwenden. Die Strafverfolgung mehrerer Personen aus Sibiu/Hermannstadt wegen sogenannter homosexueller Delikte beschäftigte weder die Presse noch die Opposition.
„Prügle deine Frau zweimal pro Woche ...“
Der kürzlich gegründete Gewerkschaftsblock (CNSLR-Fratia/Die Brüderlichkeit) gedenkt, sich in Zukunft mehr für gesellschaftlich diskriminierte Minderheiten – darunter auch Schwule – einzusetzen. Die Beauftrage für Frauen und benachteiligte Minderheiten des Gewerkschaftsblocks, Lia Ciplia, sieht in diesem Zusammenhang mehr als nur schwierige Aufgaben auf sich zukommen: „Es geht darum, die patriarchalische Mentalität der rumänischen Gesellschaft zu knacken, die sich nach wie vor an der Redensart festklammert: ,Prügle die Frau zweimal pro Woche, denn sie weiß schon, warum sie dies verdient hat!‘“
Zu den Aufgaben der frischgebackenen Minderheitenbeauftragten gehört auch die Beschäftigung mit den unzähligen Straßenkindern, die überall anzutreffen sind und die durch Schnüffeln des hochgiftigen „Aurolac“ dem Alltag zu entfliehen versuchen.
Ein erfolgreiches Vorgehen gegen die wachsende Intoleranz, die auch von der Opposition allzu gerne als Erblast des kommunistischen Systems bagatellisiert werden, scheitert immer wieder auch an der fehlenden Solidarität. Niemand fühlt sich verantwortlich. Hinter den hochtrabenden Worten der Wendepolitiker, die ihre Parteizugehörigkeit wie Hemden wechseln, verbirgt sich die Politik der Karrieresüchtigen. Demagogen haben in einer solchen Situation Hochkonjunktur und finden bei dem politisch orientierungslosen Publikum Anklang. Die Annäherung der von der Regierungspartei abgespaltenen „Front zur Nationalen Rettung“ und des oppositionellen „Demokratischen Konvents“ wurde von der ultranationalistischen „Partei Groß-Rumänien“ als „Vorbereitung zum Sturz der gewählten Regierung“ interpretiert. Wenn dann noch der Direktor des rumänischen Fernsehens, Paul Everac, in seinem wöchentlichen Kommentar den Diskussionen über die Fremden neuen Stoff liefert, dann entsteht jene Pogromstimmung, die darauf hinausläuft, die Hexenjagd auf Minderheiten zu eröffnen. „Vom Charakter her sind die Zigeuner anders als wir“, schreibt Everac in einem kürzlich erschienenen Buch. „Ihr Freiheitsdrang ist anarchisch (...), sie sind meist unrein und im großen und ganzen unehrlich.“
Das Erscheinen von Hitlers „Mein Kampf“ wurde in Rumänien gelassen hingenommen. Wenn es um rechtsextreme Exzesse geht, sind plötzlich auch die meisten Oppositionspolitiker auf dem rechten Auge blind. Aus diesem Grund stört kaum jemanden die unaufhörliche Propaganda kleinerer rechtsradikaler Parteien oder die Flut apologetischer Schriften, in denen der frühere militärfaschistische Diktator und Hitler-Verbündete Antonescu verherrlicht wird. Die offene Propaganda für die faschistische „Legion Erzengel Michael“, die sich während der beiden Weltkriege in eine Massenpartei verwandelt hatte, wird mit dem Argument geduldet, in Rumänien herrsche nun Meinungsfreiheit.
Und so sah sich auch das offizielle Bukarest erst am gestrigen Mittwoch genötigt, gegen die Veröffentlichung von „Mein Kampf“ zu protestieren. In einem Schreiben an den Generalstaatsanwalt wies Präsident Ion Iliescu darauf hin, daß die Veröffentlichung von faschistischer Propaganda von der Verfassung und mehreren Gesetzen verboten sei. Untersucht werden soll nun auch, warum die Generalstaatsanwaltschaft die Maßnahmen regionaler Behörden gegen „Mein Kampf“ ausgesetzt hat.
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