: Sackgasse eröffnet neue Wege
■ Überhitzte Gemüter in der Lindenstraße beruhigen sich, da Probleme nach langer Zeit ernst genommen werden / Plötzlich scheint überall guter Wille zu herrschen
In der Lindenstraße kehrt Ruhe ein: Wer jetzt durch das beschauliche Nebensträßchen in Biesdorf- Süd läuft, kann kaum glauben, daß ausgerechnet dort ein Streit tobte, in dem es um angebliche Apartheidpolitik und gar um Faschismus ging. Seit der Bestand der Häuser gesichert ist und die Straße am Mittwoch wieder zur Sackgasse wurde, herrscht anscheinend eitel Sonnenschein: Deutsche und Ausländer nutzen die gepflasterte Straße von Autos weitgehend ungestört als Fußweg und nicken einander freundlich bemüht zu.
„So schnell kann ich gar nicht zurückgrüßen, wie die mir guten Tag sagen“, berichtet Anwohner Rudi Schulz über die Asylbewerber, deren Heim nur knappe hundert Meter entfernt ist. „Und zweimal in der Woche gehen ein paar von ihnen durch die Straße und sammeln Abfall auf“, lobt er, „da macht sogar die Heimleiterin mit.“
Doch die Begegnungen liefen auch schon auf ganz anderem Niveau: Die Ausländer wolle man nicht in der Straße haben, hatte es geheißen, von einer Bürgerwehr, Stacheldrähten und einer Vollsperrung der Straße war die Rede. Asylbewerber und Kriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien wurden pauschal als Diebe beschimpft, was die deutschen Anwohner in den Augen ihrer Kritiker zu Nazis machte. „Die Bürger sind verärgert, daß sie als ausländerfeindlich abgestempelt wurden“, verteidigt Marzahns Sozialstadtrat Harald Buttler (PDS) die Einfamilienhaus-Besitzer. Eins von vielen Anliegen der Anwohner sei aus dem Kontext herausgerissen und aufgebauscht worden.
„Da gab es schon Aussagen, die keineswegs zu billigen sind“, relativiert Harald Fiss, Leiter der Abteilung Flüchtlingswesen im Landesamt für zentrale soziale Aufgaben, die Herzlichkeit in der Lindenstraße. Gegenüber Journalisten wurden Flüchtlinge als „das Pack“ bezeichnet. Buttler räumt ein, daß Gespräche mit den Anwohnern erst zustande gekommen seien, als er erfahren habe, daß „rechte Gruppen für Ordnung sorgen“ wollten. In Versammlungen gab es zahlreiche ausländerfeindliche Äußerungen sowie massive Drohungen. Der Nährboden schien bereitet, zumal über Jahre nie mit den Bewohnern geredet wurde.
Sauer seien sie gewesen, berichtet eine Anwohnerin, als die Sackgasse in den siebziger Jahren durch einen Feldweg zur damaligen NVA-Kaserne verlängert wurde. Doch wirklich mit der Ruhe vorbei gewesen sei es, als 1990 unmittelbar daneben ein Gewerbegebiet eröffnet wurde: „Da donnerten mit einem Mal die Laster durch unsere Straße, obwohl sie bis dahin höchstens für Dreitonner nutzbar war.“ Die Proteste der Lindensträßler, die auf eine andere Zufahrt zum Gewerbegebiet verwiesen, habe man weder im Bezirksrathaus noch in den Senatsverwaltungen beachtet. Und in diesem Jahr folgte ein weiterer Schock: Biesdorf-Süd wurde zum Entwicklungsgebiet erklärt. Rudi Schulz: „Unsere Häuser und die Gärten sollten weg“, Mehrfamilienhäuser hätten gebaut werden sollen. Durch diese Ärgernisse sei der Geduldsfaden extrem dünn gewesen, gibt der Rentner unumwunden zu.
Über den Abfall, den die Asylbewerber fallengelassen hätten, habe er sich geärgert – in der ganzen Straße steht nicht ein öffentlicher Mülleimer. Zudem sei die Lindenstraße Teil des „Rundkurses“ gewesen, auf dem die Asylbewerber ihre „zusammengebastelten Kisten bis zum Anschlag getestet“ hätten, dabei sei es auch zu Unfällen gekommen. Nun wird auf dem Parkplatz vor dem Heim der Arbeiterwohlfahrt zwar weiter an weder angemeldeten noch versicherten Autos gewerkelt, doch Touren durch die Lindenstraße sind nicht mehr möglich. Damit ist die Toleranzgrenze wieder so weit heraufgesetzt, daß sich Rudi Schulz über seinen dritten Kritikpunkt, Obstdiebstähle aus den Gärten, gar nicht mehr ärgern kann: „Das muß man halt mal hinnehmen“, meint er gutmütig schmunzelnd, „es soll uns doch nicht auf einen Appel ankommen.“ Christian Arns
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen