■ Von „großen Aufgaben“ und „bedeutsamen Stunden“: Menschelnde Frontberichterstattung
Oft zum Leidwesen des Publikums provozieren große Ereignisse die Politiker gewöhnlich zur mehr oder weniger sinnhaften Aneinanderreihung großer Worte. „Eine wichtige und großartige Aufgabe“ bescheinigte Volker Rühe gestern morgen den 250 deutschen Soldaten, bevor diese gen Mogadischu abflogen. „Von einer bedeutsamen Stunde der Bundeswehr“ sprach der Verteidigungsminister im Nieselregen auf dem Flughafen in Köln-Wahn.
Es ist schon erstaunlich: Obgleich sich in allen zu diesem Thema veröffentlichten Meinungsumfragen eine signifikante Mehrheit der Befragten gegen kämpferische Einsätze der Bundeswehr ausgesprochen hat, wurden gestern erstmalig deutsche Soldaten in eine Situation geschickt, in der sie vor Heckenschützen, Granaten und anderen letalen Widrigkeiten in keiner Weise sicher sind. Wie schon bei der Atomenergie hat die Bundesregierung demonstriert, daß sich eine repräsentative Demokratie auch dadurch auszeichnet, daß Entscheidungen gegen die Mehrheitsmeinung des Wahlvolkes durchgesetzt werden.
Doch trotz des erstaunlichen Teilerfolges in der Remilitarisierung der deutschen Außenpolitik stehen Rühe, Kinkel und Co. nach wie vor vor der schwierigen Aufgabe, in der dank alliierter Besatzung zwangsweise pazifizierten Gesellschaft der Bundesrepublik soldatische Tugenden zu rehabilitieren. Ziel dieser zweiten reeducation: Aus dem Staatsbürger in Uniform, der auf den Atomschlag aus dem Osten wartete, muß ein harter Kerl modelliert werden, der in der Dritten Welt Guerillakämpfer in Schach und gegebenenfalls auch den Daumen auf strategischen Rohstoffreserven hält. Die entscheidende Rolle bei diesem Umerziehungsprojekt spielt das Fernsehen. Gestern morgen raunte eine n-tv-Reporterin zu den Bildern von den in Tarnanzüge gewandeten und mit Schnellfeuergewehren bewaffneten Blaumützen den Halbsatz: „In ihren Gesichtern angespannte Erwartung“. Selbstredend ließ sie einen Soldaten auch von den Tränen berichten, welche die Freundinnen und Frauen zum Abschied vergossen hatten. Solche mit menschelndem Pathos getränkten Reports sind nur ein harmloser Vorgeschmack auf die anrührenden Frontberichte, kleinen und großen Heldenlegenden, die in den nächsten Wochen und Monaten in die deutschen Wohnzimmer abgestrahlt werden. Das Projekt der schleichenden Remilitarisierung des neuen Deutschlands erfordert ein neues Vokabular, das auch in der Frankfurter Allgemeinen anklingt, wenn es unter dem Fraktur-Titel knapp hieß: „Tapfer steht die Bundesregierung zu ihrem Somalia-Beschluß.“
Für und gegen den Sinn und Unsinn von UN-Interventionen in Bürgerkriegsgebieten lassen sich jeweils treffliche Argumente finden. Selbiges gilt auch für die Frage, ob das neue Deutschland sich an solchen beteiligen sollte. „Leider“, heißt es in der FAZ in erfrischender Offenheit weiter, „klammert sich die Koalition, wider besseres Wissen, an die Fiktion vom ,befriedeten Gebiet‘... “ Die politischen Ziele der Bundesregierung: Remilitarisierung der Außenpolitik und Schaffung der dazu notwendigen Heimatfront, sind abstoßend genug. Was sie aber vollends unerträglich macht, ist die so leicht durchschaubare Verlogenheit, mit der sie betrieben wird und die Kritiklosigkeit, mit der viele Medien sie unterstützen. Michael Sontheimer
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