Kinkel und Genscher bereichern den Wolf-Prozeß

■ Spionageverdacht gegen Guillaume zurückgehalten, um Brandt zu stürzen?

Düsseldorf (taz) – Im Prozeß gegen den früheren Chef des DDR-Auslandsspionagedienstes, Markus Wolf, bahnt sich eine Sensation an. Gestern gab der 4. Senat des Düsseldorfer Oberlandesgerichts dem Antrag der Verteidigung statt, Bundesaußenminister Klaus Kinkel und seinen Amtsvorgänger Hans-Dietrich Genscher als Zeugen zu vernehmen. Beide Politiker sollen am 22. September gehört werden. Die Verteidigung will mit den beiden Zeugen beweisen, daß der bedeutendste Verratsfall des ehemaligen Kanzleramtsspions Günter Guillaume quasi unter den Augen der bundesdeutschen Behörden stattfand. Der frühere Referent von Willy Brandt war im Sommer 1973 während eines Urlaubs des Kanzlers in Norwegen erstmals in den Besitz von hochbrisanten Staatsgeheimnissen gelangt, deren Weitergabe entscheidende Auswirkungen auf das spätere Urteil hatte. Knapp einen Monat vor der Norwegenreise, am 29.5.1973, waren der damalige Innenminister Genscher und sein Büroleiter Kinkel vom amtierenden Verfassungsschutz-Chef Günter Nollau darüber informiert worden, daß gegen Guillaume „schwerwiegendste Verdachtsmomente“, so Nollau später in seinem Buch „Das Amt“, existierten. Seine Ausführungen stützte der inzwischen verstorbene Nollau seinerzeit auf einen 19seitigen Dossier über den Kanzlerreferenten. Über dieses Gespräch soll Kinkel nach Aussage der Wolf-Verteidiger einen Vermerk angelegt haben, der entgegen den Vorschriften erst im Mai 1974 in der Geheimregistratur des Innenministeriums abgelegt wurde. Weil Brandt von Genscher über die brisanten Verdachtsmomente im Sommer 1973 nicht informiert worden war, macht der Verdacht eines Komplotts seither die Runde. Auch ein Untersuchungsausschuß hat sich damit ergebnislos beschäftigt. Die Frage lautet, ob Genscher und andere Guillaume bewußt einsetzten, um Brandt zu stürzen. Guillaume selbst hat davon gesprochen, er sei nur „der Knüppel für gewisse Kräfte gewesen, die Brandt aus dem Amt jagen wollten“. Nach Informationen des Kölner Stadtanzeigers soll Nollau gegenüber Vertrauten geklagt haben, in der Guillaume-Sache „hat mich der Kinkel beschissen“. Walter Jakobs