: Verspätungen sind die wahre Herausforderung
Die Visite bei seinen Jungs in Belet Huen begann für Volker Rühe mit einer Enttäuschung: Der erste Konvoi des Hauptkontingents der Bundeswehr in Somalia hatte Verspätung. Da nahm der deutsche Verteidigungsminister kurzentschlossen Kontakt zur Bevölkerung auf.
Somalia hat den deutschen Verteidigungsminister zu Fall gebracht: Bei der Besichtigung eines Unterstandes im Lager der Bundeswehr bei Belet Huen stolperte der Gast aus Bonn und ging zu Boden. „Am linken Knöchel tut's weh“, meinte Volker Rühe wenig später. Trotz umfassender Sicherheitsmaßnahmen läßt sich eben nicht jedes Risiko ausschließen.
Die 26-Stunden-Visite des Ministers bei der Truppe war minutiös vorbereitet worden: „Wir bezeichnen ihm genau den Punkt, an dem er stehen soll, um den Konvoi zu begrüßen“, hatte Oberstleutnant Rolf Bardet vorher der begleitenden Presse mitgeteilt. Fernsehteams wurden beruhigt, daß sie von den Lastwagen aus gut verfolgen könnten, wie Rühe den aus 45 Fahrzeugen bestehenden ersten deutschen Konvoi rund 15 km außerhalb Belet Huens empfinge.
Die Arbeitsbedingungen der Journalisten lagen auch dem Minister selbst am Herzen: „Wie haben Sie es denn geschafft, hier für alle Fernsehanstalten Strom zu kriegen?“, erkundigte er sich beim Rundgang durchs Lager bei Hauptfeldwebel Bernd Reichelt, der für die Elektrizitätsversorgung im Camp zuständig ist. „Die Fernsehanstalten waren für uns eigentlich Nebensache, uns ging's in erster Linie um die Kameraden“, gab der trocken zurück. Für detailliertere Auskünfte über Generatoren und Powerstationen blieb keine Zeit. Rühe eilte bereits weiter zum Camp-Postamt. Und von dort zum Fernsehinterview. Auch zur Kontaktaufnahme mit der Bevölkerung ergab sich eine Gelegenheit: „Ich heiße Volker Rühe“, teilte der deutsche Verteidigungsminister einigen Somalis auf der Straße vor dem Camp mit. Höfliche Antwort: „Herzlich Willkommen.“
Trotz gründlicher Planung aber sind in der somalischen Halbwüste und auf den verschlungenen Pfaden der Kursbestimmung von UNO-Staaten Pannen nicht zu vermeiden. Der erste Konvoi des Hauptkontingents der Bundeswehr in Somalia verspätete sich, Flexibilität bei der Programmgestaltung war gefragt. Folgenreicher dürfte eine andere Verspätung sein: Indien hat beschlossen, seine 5.000 Soldaten, deren Versorgung mit Wasser, Lebensmitteln und Ersatzteilen die Hauptaufgabe der Bundeswehr in Somalia sein wird, nicht wie geplant im August, sondern zu einem späteren Zeitpunkt in das bürgerkriegszerrissene Land zu schicken. Was sollen die deutschen Truppen bis dahin dann in Belet Huen überhaupt tun? Volker Rühe hatte auf diese Frage sofort eine Antwort parat: „Die Verzögerung gibt uns eine Chance, direkte Hilfe beim Aufbau der Infrastruktur hier zu leisten.“
„Keine großen Mittel“ für die humanitäre Arbeit
Der humanitäre Teil der Arbeit, den die deutschen Soldaten in Somalia leisten, hatte bereits am Vortag im Mittelpunkt eines Programms gestanden, das die Bundeswehr für die Journalisten vorbereitet hatte: Es wurden Grundschulen besucht, die von kanadischen UNO-Soldaten vor einigen Monaten instandgesetzt worden waren. Eines der Schiffe mit Militärgerät für die deutschen Truppen hat auch 80 Tische und Stühle für Schulkinder und Büromaterial für Lehrer an Bord. Noch können Tausende von Kindern in Belet Huen keine Schule besuchen – die alten Gebäude wurden während des Bürgerkrieges zerstört. Oberstleutnant Volker Halbauer, Stabschef der deutschen Truppen, zeigte auf eine Ruine, von der nur noch die Grundmauern stehen: „Für 20.000 Dollar kann das hier hochgezogen werden.“ Die Bundeswehr hoffe mit Geld und Material behilflich sein zu können, die Bauarbeit selbst werde von Somalis geleistet. Nur noch eine Ruine ist bislang auch ein ehemaliges Waisenhaus im Zentrum der Kleinstadt: „Die UNO hat zugesichert, beim Wiederaufbau zu helfen“, erklärte Halbauer.
Im Krankenhaus von Belet Huen trifft Oberstleutnant Halbauer Älteste verschiedener hier ansässiger Clans. Sie erteilen Bundeswehrärzten die formelle Erlaubnis, in der Klinik für die Bevölkerung Sprechstunden abhalten und somalisches Krankenhauspersonal fortbilden zu dürfen. Die somalischen Ärzte sind an Weiterbildung bereits gewöhnt, bis vor wenigen Wochen war diese Aufgabe von einer US-Hilfsorganisation übernommen worden. Die Begegnung zwischen deutschen Militärs und einheimischen Ältesten ist von zurückhaltender Freundlichkeit auf beiden Seiten geprägt: „Wir sind sehr froh, daß wir hier unter sicheren Bedingungen arbeiten können“, dankt Oberstleutnant Halbauer den Ältesten für den versprochenen Schutz. Einer von diesen erwidert artig: „Tun Sie Ihr Bestes – beide Seiten sollten hier ein Beispiel geben.“
„Vorher war ich eigentlich skeptisch, aber jetzt denke ich doch, daß die Bundeswehr hier wirklich etwas Vernünftiges zu tun scheint“, meint ein Fernsehjournalist nach dem Besuchsprogramm.
Schulmöbel und medizinische Versorgung sind sichtbare Zeichen der Barmherzigkeit, in den Genuß langfristiger struktureller Hilfe ist Belet Huen bisher kaum gekommen. Obwohl die Stadt und der umliegende Distrikt Haran nach dem Sturz des früheren Präsidenten Siad Barre nur selten Schauplatz gewaltsamer Auseinandersetzungen gewesen ist. Zehntausende von Flüchtlingen haben sich in den letzten zweieinhalb Jahren in die relative Sicherheit der Region gerettet. Noch immer werden diese Notleidenden von der UNO nicht betreut – sie läßt von ihrem Mitarbeiter Abdus Salam Hashmi in diesen Tagen zunächst wieder einmal die Lage erkunden. Der will in der nächsten Woche mit Vertretern des Kinderhilfswerks Unicef, des Welternährungsprogramms WFP und des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge reden. Warum sind diese Organisationen nicht längst vor Ort? „Der humanitäre Flügel von UNOSOM hat eben keine großen Mittel zur Verfügung“, seufzt Abdul Salam Hashmi. Bettina Gaus, Belet Huen
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen