: Der erste Blick täuscht
■ Widersprüchliche Erfahrungen mit dem geänderten Asylgesetz / Schlepper verlangen höhere Preise
Die Frau mit dem schwarzen Zopf unterm gelben Kopftuch muß sich an die Wand stellen. „155 Zentimeter, braune Augen“, notiert der Mitarbeiter des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Habenhausen. Dann führt er die Frau zum Waschbecken, sagt „Händewaschen“. Er zieht sich Handschuhe über, nimmt den schmalen Daumen der Frau, rollt ihn über ein Stempelkissen und drückt ihn auf ein Formular. Die restlichen neun Finger folgen. Auf dem Handrücken der Frau ist der Name des Roma-Clans eintätowiert. Die Rumänin bekommt noch für diese Woche einen Anhörungstermin.
Seit vier Wochen gilt das neue Asylgesetz, doch an der Praxis in Bremen hat sich wenig geändert. Weiterhin kommen Asylsuchende — meist illegal auf dem Landweg, seit die Großflughäfen dicht sind. Nur Ende Juni/Anfang Juli seien weniger gekommen, sagt die Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamtes, Ulrike Bremermann. Jetzt stiegen die Zahlen bundesweit wieder auf die üblichen 30.000 AntragstellerInnen pro Monat.
Weiterhin also kommt über ein Viertel der Flüchtlinge aus Rumänien. Ihre Anerkennungsquote liegt mit 0,1 Prozent noch unter dem Durchschnitt von 2,1 Prozent. Flüchtlinge aus China, Afghanistan, der Türkei und aus Bosnien
Zehn Fingerabdrücke für den Inpol-ComputerFoto: Christoph Holzapfel
Herzegowina werden wesentlich häufiger anerkannt. Egal aus welchem Land ein Flüchtling kommt: Er oder sie kann in einer im Schnitt 1,5stündigen Anhörung die Asylgründe darlegen. Auch die Rumänin mit dem gelben Kopftuch wird einem der 16 EntscheiderInnen gegenübersitzen. Neu allerdings ist die Frage nach dem Reiseweg. Wer nämlich über ein an die BRD angrenzendes Land kommt, kann jetzt wieder zurückgeschickt werden, um dort einen Asylantrag zu stellen. Praktiziert wird diese Ab
lieber Dieter,
hierhin bitte die vielen Finger
schiebung aber noch sehr selten, sagt Ulrike Bremermann. Denn der Nachweis der Reise durch das Nachbarland ist schwierig. Und allmählich scheint es sich unter den Asylsuchenden herumzusprechen, daß man den Paß mit dem Einreisestempel besser verloren hat, sowieso keine Fahrkarte oder ähnlich Belastendes bei sich hat. Wer also nicht bereits an der Grenze zurückgeschickt worden ist, sondern es bis nach Bremen geschafft hat, hat von der sogenannten Drittstaaten-Regelung wenig zu fürchten.
Auch die zweite Neuerung, die Liste der sogenannten sicheren Herkunftsländer Bulgarien, Gambia, Ghana, Polen, Rumä
nien, Senegal, Slavische Republik, Tschechische Republik und Ungarn, hat nur auf den ersten Blick keine großen Auswirkungen: Auch die Asylsuchenden aus diesen Ländern können in einem Anhörungsverfahren ihre Asylgründe vortragen. Ulrike Bremermann: „Wer aus Rumänien kommt, wird nicht automatisch abgelehnt; unser Interesse ist es schließlich nicht, möglichst viele Menschen abzuwimmeln, sondern dem Einzelfall gerecht zu werden.“ Die Länderliste bedeute am Ende nur, daß der Entscheider im Fall einer Ablehnung nicht eine achtseitige Begründung schreiben muß, sondern auf die Länderliste verweisen kann.
Doch das dicke Ende kommt erst noch: Wird ein Antrag von Menschen aus diesen Ländern als „offensichtlich unbegründet“ zurückgewiesen, liegt also nach der Einschätzung der EntscheiderInnen keine politische Verfolgung vor, hat der Flüchtling nur noch eingeschränkte Klagemöglichkeiten.
Klagen kann der Flüchtling zwar weiterhin, aber nicht von deutschem Boden aus. Die Gerichte lehnen nämlich mittlerweile in 90 Prozent der Fälle den Antrag auf aufschiebende Wirkung der Entscheidungen ab, berichtet der Bremer Rechtsanwalt Karim Popal. Die Flüchtlinge werden zurückgeschickt, auch wenn sie gegen die Entscheidung anfehen wollen. Popal hat noch von keinem einzigen Asylbewerber gehört, der tatsächlich von zuhause aus geklagt hätte. Die oberste Bremer Entscheiderin: „Insgesamt hat sich das Gros der Klagefälle bisher ja doch als unbegründet erwiesen.“
Auch wenn sich mit dem neuen Gesetz die Anerkennungsquote nicht senkt, genausowenig wie die Asylbewerberzahlen insgesamt — auf eine Gruppe hat das Gesetz bereits abschreckend gewirkt. Der Anwalt Popal hat den Eindruck, daß aus den Ländern, in denen tatsächlich verfolgt werde, beispielsweise Afghanistan und Iran, viel weniger Menschen überhaupt noch Asyl beantragen. Und die, die doch kommen, müßten ihren Schleppern immense Summen zahlen. Ein Kurde zum Beispiel 11.000 Mark, statt wie früher üblich 4-5.000 Mark.
Christine Holch
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