piwik no script img

Sprache schafft Wirklichkeit

■ betr.: "Noble Villen und Container", taz vom 13.7.93

betr.: „Noble Villen und Container“, taz vom 13.7.93

Sehr geehrter Herr Müller-Michaels, mit großer Entrüstung reagiert der Fachschaftsrat Psychologie hiermit auf Ihr Schreiben, mit dem Sie offenbar versucht haben, die Ratsmitglieder dahingehend zu beeinflussen, die geplante Unterbringung von Flüchtlingen am Unterfeld in Stiepel zu kippen. Es befremdet uns besonders der Ton, in dem Sie Ihren Brief abgefaßt haben. Sie verwenden Formulierungen, die geeignet sind, Ihre vorgeblich linke Einstellung doch zumindest als sehr anzweifelbar erscheinen zu lassen.

Im einzelnen möchten wir hier auf einige besonders markante und verräterische Sätze und Satzteile eingehen:

1. Sie schreiben, daß „Sie“ (Frau Borgmann) „in Sachen Containerdorf weniger daran interessiert sind“ (an den Interessen der Bürger von Stiepel) „als vielmehr an einem abstrakten Recht für Flüchtlinge aus Südosteuropa“. Diese Formulierung läßt vermuten, daß Sie bei Rechten unterscheiden zwischen Rechten von Einheimischen, die es zuallererst zu vertreten gilt, und Rechten von Flüchtlingen, die weniger wiegen. Sind Sie sich bewußt, was Sie da schreiben?

2. Sie zitieren mehrere Gerichtsurteile, von denen Sie die Ihnen passenden (Stichwort Rücksichtnahmegebot) als Beleg für die Rechtmäßigkeit Ihrer Forderungen anführen, das nicht passende (Auslegung des Nachbarschaftsbegriffes) aber als unzulässig einstufen. Welch merkwürdige Rechtsauffassung!

3. Unter dem Vorwand der Sorge um die Sicherheit der Flüchtlinge (Gasbehälter) versuchen Sie, Ihre Interessen einer möglichst „ungestörten“ Umgebung zu begründen. Meinen Sie nicht, daß gerade durch solche Briefe und solche Formulierungen mögliche Gewalttäter erst legitimiert und angestachelt werden?

4. Sie schreiben, „die Vorstellung von bürgerlichen Konventionen dürften vielen der Wirtschaftsflüchtlingen unbekannt oder gar gleichgültig sein“. Dieser Satz offenbart nach unserer Ansicht den eigentlichen Antrieb Ihres Schreibens. Sie betrachten die Flüchtlinge als Wirtschaftsflüchtlinge, die jeglicher Zivilisation entbehren. Wir hätten Ihnen eigentlich mehr Differenzierungsvermögen zugetraut!

5. Sie spielen die berechtigten Interessen alter Menschen an einem Altenheim gegen die ebenfalls berechtigten Interessen von Flüchtlingen aus. Würden Sie nicht auch im Falle eines geplanten Altenheims um Ihre Ruhe fürchten?

6. Ihre abschließende Bemerkung, Sie würden an der Lösung von Problemen bei der Unterbringung von nur 50 Asylbewerbern mitwirken, wirkt unter Berücksichtigung der zuvor genannten Punkte als Farce.

Wir fordern von Ihnen eine unverzügliche Distanzierung von Ihrem Schreiben. Gerade Sie als Professor für Germanistik sollten sich der Kraft der Sprache bewußt sein. Sprache schafft Wirklichkeit. Die von Ihnen bisher erhaltenen Stellungnahmen reichen bei weitem nicht aus. [...] Der Fachschaftsrat Psychologie

Ruhr-Universität Bochum

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen