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Pessimismus und Optimismus in Genf

■ Weitere Runde der Bosnien-Verhandlungen hat begonnen / Kroatische Kurskorrektur nach internationalem Druck und militärischen Niederlagen?

Genf (taz) – Mit ausschließlich bilateralen Begegnungen begann gestern in Genf eine neue Runde der Bosnien-Verhandlungen. Bereits am Montag abend waren die Vermittler Owen und Stoltenberg zu einem 45minütigen Gespräch mit dem Präsidenten Bosniens, Alija Izetbegović, zusammengekommen. Der Sprecher der beiden Vermittler erklärte anschließend, die drei hätten sich „offensichtlich nicht viel zu sagen gehabt“. Gestern morgen und bei einem kurzfristig anberaumten Treffen am Nachmittag berieten sich Owen und Stoltenberg dann zunächst mit dem Bosnien-Beauftragten der Clinton-Administration, Reginald Bartholomew. Dieser soll Druck auf die bosnische Delegation ausüben, der neben Izetbegović und Außenminister Silajdzić weitere Mitglieder des Staatspräsidiums sowie zwei führende Oppositionspolitiker angehören. Die Bosnier sollen dem serbisch-kroatischen Dreiteilungsvorschlag als einziger Verhandlungsgrundlage zustimmen.

Auch gestern ließen Owen und Stoltenberg erneut die Behauptung verbreiten, der Gegenvorschlag des bosnischen Präsidiums für eine Föderation entsprechend der Prinzipien des Vance/Owen- Plans sei immer noch nicht bei ihnen eingetroffen. Nach offiziell nicht bestätigten Informationen übermittelten die beiden Unterhändler Bartholemew auch ihren Wunsch an Präsident Clinton, die USA und die Nato sollten ihre in Norditalien zum Schutz der UNO- Schutzzonen“ stationierten Kampfflugzeuge mit Rücksicht auf die Verhandlungen weiterhin am Boden lassen.

Der bosnische Serbenführer Radovan Karadžić gab sich vor seinem Treffen mit den Unterhändlern am Mittag „pessimistisch“: „Gewisse Kreise, vor allem in Deutschland und in den USA, würden die bosnischen Muslime zum Weiterkämpfen ermutigen“. „Optimistisch“ äußerte sich vor der ersten Begegnung der bosnischen Delegation mit Owen und Stoltenberg das kroatische Delegationsmitglied, Premierminister Mile Akmadžić. Er gehe davon aus, daß eine Einigung aller drei Parteien möglich sei. Die Äußerungen von Akmadžić, der in einer früheren Phase der Delegation des bosnischen Kroatenführers Mate Boban angehörte, zu dem er weiterhin enge Beziehungen hält, war einer von mehreren Hinweisen auf eine mögliche Kurskorrektur der kroatischen Seite. Angesichts militärischer Erfolge der überwiegend muslimischen Regierungstruppen in Zentralbosnien gegen die kroatischen Milizen der HVO sowie der Sanktionsdrohungen aus EG- Kreisen gegen Kroatien seien Boban und Tudjman jetzt wieder um eine Annäherung an die muslimische Seite bemüht.

Für den Abend war ein Treffen Tudjmans und Bobans mit den beiden Vermittlern angesetzt. Andeutungen von Präsident Milošević, es werde am Abend auch zu einem Treffen aller drei Kriegsparteien kommen, wurden von Konferenzsprecher Mills zunächst nicht bestätigt.

In der Region Sarajevo sowie in Nordbosnien führten serbische Truppen auch gestern wieder schwere Angriffe gegen Stellungen der Regierungstruppen. Nach einer entsprechenden Warnung des neuen UNPROFOR-Oberkommandierenden in Bosnien, des belgischen Generals Francis Briquemont, warnte am Montag abend auch das Verteidigungsministerium in Paris, Angriffe auf französische UNO-Truppen würden künftig „erwidert“. Im Einvernehmen mit den UNO-Streitkräften werde man „bei einem neuen Angriff sofort alle Konsequenzen ziehen“. Andreas Zumach

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