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„Einmischen, oder man wird aufgemischt“

Eine Diskussion mit jungen TürkInnen der dritten Generation in Deutschland / Ausgegrenzt aus der Gesellschaft des Geburtslandes, aber nicht resigniert  ■ Aus Frankfurt/M. Klaus-Peter Klingelschmitt

„Ich wünsche mir ein Land, in dem all die Menschen leben können, die nicht wissen, wo sie hingehören – am liebsten eine Insel.“ Die 20jährige Schülerin Jasmin mit dem türkischen Paß, die im nächsten Jahr ihr Abitur machen will, träumt sich manchmal weg aus der Zeitgeschichte eines Landes, in dem die Namen von Städten zu Synonymen für die seit der deutschen Wiedervereinigung eskalierende Gewalt gegen AusländerInnen geworden sind: Rostock, Mölln und Solingen. Die in Deutschland geborne Jasmin hat den Haß auch in der multikulturellen Stadt Frankfurt am Main – Ausländeranteil: 26 Prozent – zu spüren bekommen: bei der Ferienjobsuche, in der Schule und auch „einfach so auf der Straße“. Türken und Türkinnen, sagt sie, seien inzwischen in Deutschland die (!) Ausländer generell geworden. Und die Deutschen würden sie mit marokkanischen Drogendealern und anderen Kriminellen in einen Topf werfen. Jasmin: „Für die Deutschen sind alle Ausländer einfach Türken. Und die Türken schlachten in ihren Badewannen Schafe, beten als Fundamentalisten zu Allah und nehmen den Deutschen die Wohnungen und die Arbeitsplätze weg. Das glauben die Deutschen tatsächlich. Und dabei wollen sie doch ein intelligentes Kulturvolk sein.“

Auch Ismail (19) sieht sich ausgegrenzt aus der Gesellschaft, in der er aufgewachsen ist. Der Ex- Schulsprecher macht die unbewältigte NS-Vergangenheit für die Exzesse gegen AusländerInnen in Deutschland verantwortlich. Die Entnazifizierung, sagt er, habe „nichts gebracht“. Für Ismail, der sich intensiv mit der deutschen Geschichte beschäftigt hat, steht fest, daß heute in Deutschland wieder „Weimarer Verhältnisse“ herrschten – und die SPD habe damals wie heute „versagt“. „Die SPD hat sich trotz Rostock, Mölln und Solingen nicht der ausländerfeindlichen Politik der CDU entgegengestellt, sondern mit Kohl gemeinsame Sache gemacht.“

Von den deutschen Politikern erwartet Ismail nichts mehr. Die AusländerInnen in Deutschland müßten heute ihre Interessen selbst vertreten und sich organisieren. Und deshalb will Ismail nach dem Abitur Politologie und Soziologie studieren: „Man muß sich einmischen, sonst wird man aufgemischt.“

Jasmin und Ismail: Kinder der zweiten Generation von AusländerInnen in Deutschland. Kinder ohne Zukunft in Deutschland? Die kleine Diskussionsrunde in Chuma Jagmurs „EinwanderInnen-Treff“ im Frankfurter Stadtteil Bockenheim war sich einig: In die Türkei zurück wollen und können sie nicht (mehr) nach all den Jahren der Sozialisation unter den Deutschen. Doch in Deutschland beiben bedeute für sie „lebenslanger Kampf gegen Diskriminierung und Vorurteile“ (Ismail). Jasmin hat für sich eine erste Konsequenz gezogen: „Ich will deutsche Staatsbürgerin werden.“ Sie hat es satt, bei Klassenfahrten von Grenzschutzbeamten aus dem Bus geholt zu werden. Und der ganze „Trouble“ mit den deutschen Behörden gehe ihr ohnehin auf die Nerven.

Für Ismail ist das kein (Aus-) Weg – eher eine „sinnlose Flucht“. Auch mit einem deutschen Paß, sagt er, bleibe man für die Deutschen ein Ausländer. Davon kann der Ex-Türke und politische Flüchtling Chuma Jagmur (42) ein garstig Lied singen. Der Leiter der Anlaufstation für EinwanderInnen hat seit Jahren einen deutschen Paß. Aber noch immer würden Deutsche bei Behörden oder auch in Geschäften stammeldeutsch mit ihm reden: „Was du wollen?“

Doch selbst Ismail, der sich seine „türkische Identität“ bewahren will, hätte – „aus ganz praktischen Gründen“ – nichts gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft einzuwenden. Aber das ganze Theater um diese doppelte Staatsbürgerschaft, sagt er, sei doch nur nach dem Mordanschlag in Solingen ein Thema für deutsche Politiker gewesen: „Schon heute hört man nichts mehr davon.“ Und auch die Forderung nach dem kommunalen Wahlrecht für AusländerInnen werde nur noch von denen gestellt, die es politisch nicht durchsetzen könnten oder wollten – etwa von den Grünen. Dabei, sagt Jasmin, wäre das kommunale Wahlrecht eine „gute Sache im Kampf gege die Ausländerfeindlichkeit. Da müßten sich die deutschen Parteien endlich um die AusländerInnen kümmern, denn in einer Stadt wie Frankfurt/Main würden die AusländerInnen dann ein Viertel der WählerInnen repräsentieren. Jasmin hat Erfahrungen mit deutschen Parteien gemacht. Im Rahmen einer Projektwoche an ihrer Schule hatte sie alle im Frankfurter Römer vertretenen Parteien angeschrieben und um Aufnahme gebeten. Geantwortet hat ihr keine Partei – „auch nicht die Grünen“.

Doch resigniert, sagen die jungen TürkInnen, seien sie nicht. Bei der Kindererziehung müsse mit der Organisation von „Umdenkungsprozessen“ (Ismail) angefangen werden. Und die Politiker in Deutschland sollten sich in Zukunft genau überlegen, was sie sagen: Man könne nicht die Gewalt gegen AusländerInnen verurteilen und gleichzeitig Verständnis für die Ängste der Deutschen vor Überfremdung äußern. Und ein Politiker wie Edmund Stoiber, der vor der „durchraßten Gesellschaft“ warnte, der hätte in einer wirklich demokratischen Gesellschaft sofort „zurückgetreten werden müssen“. Für Jasmin tragen auch die Medien in Deutschland ein „hohes Maß an Verantwortung“. Vom tatsächlichen Leben der Türken in Deutschland würde das Fernsehen doch nie berichten. Und einen Spielfilm mit deutschen und türkischen SchauspielerInnen, den habe sie noch nie im deutschen TV gesehen: „Reni Demirkan ist da kein Gegenbeispiel.“

Die Deutschen, sagt Jasmin, wüßten einfach zuwenig über ihre türkischen MitbürgerInnen. Und deshalb würden sich die Vorurteile – noch verstärkt durch die Hetzpropaganda der Rechtsradikalen – „tief in ihre Herzen fressen“. Vielleicht, träumt Jasmin, die einmal Journalistin oder Im- und Exporthändlern werden will, weil das „internationale Berufe“ seien, könnten ihre eigenen Kinder einmal in einem Deutschland aufwachsen, das sie „einfach als Menschen“ akzeptiere. „Ich hab' da Hoffnung – sonst könnt' ich mich ja gleich erschießen.“

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