piwik no script img

Phantombilder des Lebens

■ Zum Selbststudium: Skulpturen von Jana Grzimek, Bildnisse von Susanne Ritter / Kunst für den siebten Blick in der Städtischen Galerie

Wie nützlich die Kunst doch gleich ist, wenn sie einmal auf halber Strecke liegen bleibt: Da haben wir eine Menge zu studieren. Nehmen wir mal die Porträts von Susanne Ritter, Jahrgang '45, wie sie an den Wänden der Städtischen Galerie vor sich hin sinnen: Seltsame, gänzlich entseelte Gesichter. Jeder Versuch, sie zu beleben, ist zwecklos. Aber sind jetzt wir gescheitert oder bloß die Künstlerin?

Schon strebt man in den nächsten Saal, weil was gehen uns die Puppen an, da sieht man gerade noch auf den zweiten Blick diesen Stich ins Renaissancehafte, diese strenge Lieblichkeit der Gesichter, die von selber schon aussehen wie gerahmt. Dem dritten Blick fällt auf, wie bäuerlich sie aber doch auch gebaut sind, wie massig und kartoffelig; ja sie sind, so gesehen, ganz vom alten Bauernbreughel-Schlag. Auch die Farben, meist abgeschattet ins Rötliche, Erdennahe, sind eher im Niederländischen daheim.

Wenn da bloß nicht diese Fläche stählern stumpfes Blau wäre mit hastig flirrenden Lichtern drin; schon erinnert sich der vierte Blick geradenwegs an Van Gogh, an die Porträts der harten Sorte, wo sich die Farben eng in der Fläche stoßen. Bei Susanne Ritter allerdings haben die Figuren alles Aufgewühlte eingebüßt; sie erscheinen wie klinische Verfallsformen: eingebleicht, abgemildert, ja geradezu ruhiggestellt. Es eignet ihnen also auch noch die kühle Flächigkeit des Fotorealismus, dem Susanne Ritter einmal nachgefolgt war; dieses sieht spätestens der fünfte Blick.

Der Künstlerin verdanken wir, daß die Bilder dennoch nicht komplett übergeschnappt aussehen. Sie hat nahezu alle bisherige Porträtmalerei in ihre Arbeit eingehen lassen, aber gerade so, daß sich die Beiträger gegenseitig auslöschen. Übrig bleiben die reinen Typen. Die Polizei arbeitet ganz ähnlich: Zahllose Porträtfolien übereinander ergeben erst den Verbrecher, dem die Fahndung gilt.

Was aber juckt uns das Phantombild, das seelenlose? Es juckt uns, daß wir am Ende doch noch ein kleinwinziges Grinsen in den Gesichtern finden, ein verstohlenes Lugen, ein Fältchen voll Tücke. Da fängt das Leben in der Malerei ganz minimalistisch von vorn an, und wir können es mit dem siebten Blick wachsen sehen wie Gras.

Ungleich rabiatere Kräfte wirken nebenan in den Skulpturen der Wahlbremerin Jana Grzimek, Jahrgang '64. Gedrungene Gestalten ragen im Raume, derart durchwalkt von inneren Gewalten, daß es ihnen manches Mal auch noch die starre Fresse verreißt. Gipserne Dreibeiner, Torsi, die wirklich mal was Versehrtes haben, klamme Leidende, die Brust so eng und eingefallen, daß man Atem holt, Leidende, die sich empordrehen wie ausgewrungen: Soviel Tragisches, daß es längst wieder komisch ist.

Mit Susanne Ritters Bildnissen sind diese Arbeiten durchaus ein wenig verwandt: Sie setzen in ihrer schlichten Figürlichkeit unserm Verständnis nichts entgegen außer sich selber umso entschiedener. Auf den knödeligen, beuligen Körpern sitzen Köpfe von unerfindlicher Maskenhaftigkeit; ja es sind fast nur Thesen von Köpfen. Auch in diesem Fall ist die Kunst leider bald zu Ende und durchschaut, aber eben auch mit viel Gewinn. Hier ist das Konstruktionsprinzip der schreiende Widerspruch, und man sieht alle Kontrahenten bei der Arbeit: Körper gegen Zeichen, Kraft gegen Leiden, Pathos gegen Erbärmlichkeit, Heulen gegen Lachen. Wir haben immerhin den Spaß davon, weil sich die Figuren in so furunkulöser Lustigkeit durch ihr Figurenleben schleppen. Eine bunte Gesellschaft, geschlagen, aber unbeugsam. Manfred Dworschak

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen