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Arthrose im großen Zeh

Interview mit Rosa von Praunheim, dessen Autobiographie „50 Jahre pervers“ nun erschienen ist  ■ Von Christiane Voss

taz: Was würdest du von einer Autobiographie erwarten, die du lesen wolltest?

Roa von Praunheim: Ich liebe Autobiographien. Ehrlichkeit würde ich erwarten. total verlogen finde ich solche Autobiographien wie die von O.W. Fischer oder Maria Schell zum Beispiel, gelungen finde ich die von der Schwester der Piaf. Sympathisch finde ich, wenn Leute ihre Fehler darstellen. Wenn jemand besonders schlecht von sich redet.

Tust du das denn, gehst du auf peinliche und unangenehme Dinge ein?

Ja, vielleicht gerade. Diese Überbetonung von Sex hat sicher mit meiner katholischen Erziehung zu tun, und daß ich schon so früh nach dem Onanieren immer beichten mußte. Das ist also eine Überwindung dieser Schamschwelle, erst recht viel später über Sex zu reden, weil das in meiner Kindheit immer verboten war. Gerade diese Überbetonung kann manchml auch langweilig werden.

Eben, und worüber sprichst du unabhängig von Sex?

Meine Rolle hier in Berlin besteht ja so ein bißchen darin, daß ich gleichzeitig bewundert und gehaßt werde. Vieles ist Neid und Konkurrenz, aber es gibt natürlich auch berechtigte Kritik, zum Beispiel daran, daß ich mich als Sprecher aller Schwulen aufführe, zu oft in den Medien auftauche. Sicher wäre es besser, wenn ich nicht immer der einzige wäre, der in den Medien als offen Schwuler vorgeführt wird. Das liegt natürlich auch an den Schwulen selbst, daß sie nicht öffentlich geworden sind. Es gibt eben immer noch kaum offen schwule oder lesbische Prominente. Erst läßt man mich alleine, und dann beschimpft man mich.

Trägst du denn dazu bei, Leute aufzubauen?

Ja sicher. Frank Ripploh hat vor dem „Taxi zum Klo“ sieben Jahre mit mir gearbeitet, Michael Stock hat ein paar Jahre bei mir gelernt, der jetzt den Film „Prinz in Hölleland“ gemacht hat, der im August ins Kino kommt. Es gibt viele Leute, die direkt zu mir kommen oder über meine Arbeit motiviert werden, und das freut mich.

Das ist ja nicht die ganze Wahrheit. Es gab doch eine Menge Konkurrenz und Streß, gerade mit Ripploh und Stock.

Sicher, das ist dann unvermeidbar. Das ist von beiden Seiten gleich stark, würde ich sagen. Wenn man mit so einer intensiven Person wie mir... das sind doch Vater-Sohn-Beziehungen, die immer schwieriger sind. Aber das ist doch gut, wenn die Söhne sich dann durchsetzen und auch was leisten, das ist doch toll.

Hast du Angst vor dem Vatermord?

Nee, den provoziere ich ja. In meinem ersten Schwulenfilm („Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“, 1970) habe ich ja die Schwulen sehr beschimpft. Das war meine pädagogische Methode, besonders verletzend und provozierend zu sein, den Schwulen vorzuwerfen, sie seien bürgerlich, unpolitisch, angepaßt, eitel und feige und würden nichts für ihre Emanzipation tun. Das war, wenn du so willst, eine unfeine Methode, bis hin zum Outing. Ich sage nicht: Klopft euch auf die Schulter, Ihr seid nette Menschen, wir brauchen nur tolerantere Gesetze. Sondern ich denke, wir müssen selber mithelfen, daß sich etwas ändert.

Gemessen an diesem Anspruch und dem Titel deines Buches (50 Jahre pervers) fand ich seinen Inhalt erstaunlich zahm und harmlos. Es scheint, als wolltest du niemandem weh tun.

Auf Leute, die mich nicht kennen, wirkt das Buch sehr radikal. Es gibt ja kaum schwule Biographien. Außerdem kritisiere ich auch den Kulturbetrieb. Zum Beispiel berichte ich, wie meine Filme entstanden sind. Diese kleinen, dreckigen Filme aus den siebziger Jahren, die im Vergleich zu dem, was heute en vogue ist, viel persönlicher und politischer sind. Die meisten wollen doch heute abgesichert Filme machen, nette Geschichten erzählen und sich in kein Fettnäpfchen setzen. Man kann auch mit wenig Geld arbeiten, man kann sich Themen aussuchen, die ein bißchen oder auch sehr weh tun, und dazu will ich anregen. Heikel wird es, wenn ich lebende öffentliche Personen beschreibe. Aufgrund des Outing-Skandals und mit Rücksicht auf den Verlag bin ich gezwungen, etwas vorsichtig zu sein. Erstaunt war ich über die positiven Kritiken zu meinem Buch, ich hatte eigentlich erwartet, daß man auf mir herumhackt wie zum Beispiel diese Tante vom Express: „400 Seiten Ficken und sonst nichts.“ Daß ich noch 50 Filme gemacht habe, hat sie dabei überlesen. Überwiegend war das Echo aber sehr gut.

War es dir lieber so oder hat es dich geärgert, daß es keinen Skandal um das Buch gab?

Das ist immer zwiespältig. Natürlich ist es gut, Skandale zu kriegen. Das erzeugt mehr Aufmerksamkeit und Interesse.

Du bemühst immer das Klischee vom leidenden Künstler. In deiner Biographie läßt sich aber außer einem Geldmangel in der Jugend kein großartiges Leiden feststellen.

Ja, das ist natürlich ein Widerspruch. Ich habe großes Glück gehabt, weil ich gleich mit meinen ersten zwei Kurzfilmen sehr viel Öffentlichkeit und Erfolg hatte und seitdem immer Finanzierungen für meine Projekte auftreiben konnte. Wenn ich dann krähe, ihr müßt alle kämpfen und leiden und arm sein, dann klingt das natürlich pervers. Aber die meisten haben eben nicht so eine starke Persönlichkeit wie ich, daß sie aus sich heraus schon motiviert sind, produktiv zu sein. Ich mußte mich ja auch schon in meiner Kindheit und Jugend gegen meine unmusischen Eltern durchsetzen, in einer isolierten Situation meinen Weg als Künstler und als Schwuler finden.

Aber das geht doch den meisten so. Die meisten wachsen so auf.

Das würde ich nicht sagen. Ich glaube, es ist schwerer für jemanden, der musische Eltern hat und viel unterstützt wird – zum Beispiel für die Leute von der Filmakademie ist es besonders schwer, gute Filme zu machen. Da hat man alle Möglichkeiten und muß doppelt talentiert sein, um sich gegen die Schule durchzusetzen. Ich war immer gegen Technik und Ausbildung. Ich glaube nicht ans Lernen.

Bist du in einer Midlife-crisis?

Total, ja. Obwohl ich nun wirklich viele Filme über das Alter gemacht habe, mit Lotti Huber oder der Künneke, über Leute, die mutig und selbstbewußt und phantasievoll das Alter meistern – ich finde es einen Horror. Ich habe Arthrose im großen Zeh, kann also keinen Sport mehr mit meinen Beinen machen, ich habe ein Prostataleiden, mein Arzt sagt, weil ich soviel Tripper gehabt habe... was hab ich noch alles... ich werde langsam fett, ich muß kämpfen mit Diäten, ich habe Polypen in der Nase und da wird dann zu Radikaloperationen geraten, und das ist ja erst der Anfang von den Leiden, die da noch auf mich zukommen. Und dann glaube ich, daß sich im Alter auch Ängste verstärken. Ich dachte immer, alte Menschen brauchen doch keine Angst mehr zu haben, die sterben doch sowieso bald – aber es stimmt, ich habe jetzt auch diese Katastrophenängste, daß ich alt und schwach werde und mich nicht mehr wehren kann. Als jüngerer Mensch hätte ich gegen den Rechtsruck selbstverständlicher und kämpferischer reagiert. Jetzt finde ich es vor allem wahnsinnig bedrohlich und habe nicht mehr diesen Optimismus. De facto habe ich zwar viele Projekte, ein reiches Sexleben, einen netten Freund, aber die Paranoia ist da. 50 ist einfach der Schritt ins Alter. Körperlich gehts bergab, auch geistig.

Aktuell steckst du auch in einer Beziehung. Hast du dich von der Promiskuität verabschiedet?

Das geht nicht. Eine Beziehung, ob hetero oder schwul, kann nur eine begrenzte Zeit monogam sein. Es ist einfach natürlich, daß man auch ein sexuelles Interesse an anderen hat. Alles andere ist Masochismus. Im Höchstfall läßt sich über zwei bis drei Jahre eine Monogamie halten. Bei Heteros gibt es vielleicht mehr bürgerliche Zwänge, die einen Ausbruch verhindern. Bei Schwulen ist es in den seltensten Fällen so, daß sie so verlogen zusammenleben. Sie sagen dann, gut, wie haben auch andere Interessen, aber uns verbindet mehr als nur Sex. Dann haben beide eben auch andere Partner, darüber kann man sprechen, und das braucht der Liebe und der Freundschaft keinen Abbruch zu tun. Promiskuität kann eine Sexsucht sein. Ich glaube, daß ich sexsüchtig war und vielleicht auch noch bin. Da ist sicher auch so ein Narzißmus, den viele Schwule haben. All das begründet sich in der Unterdrückung, wenn du als Schwuler lange isoliert warst, keine Rollenmodelle hattest.

Du betonst wiederholt dein generelles Interesse an Menschen, kannst aber im direkten Umgang kaum Gespräche durchhalten, bist unkonzentriert und fahrig.

Das wird mir oft vorgeworfen. Oberflächlich habe ich an jedem Interesse, aber es sind natürlich nur spezielle Leute, mit denen es weitergeht. Auf Parties beispielsweise frage ich Leute nach ihrem Sexleben aus, und wenn ich sie dann einen Monat später wiedersehe, habe ich manchmal schon vergessen, wer was gesagt hat und stelle dieselben Fragen nochmal. Aber ich habe ja auch eine Menge Portraits gemacht, wo ich mich intensiv mit Leuten auseinandergesetzt habe. Für den „24. Stock“ habe ich beispielsweise 100 Stunden Material und Interviews gemacht. Da kann man nicht oberflächlich bleiben.

Würdest du gerne einen Nachfolger heranziehen?

Nicht nur einen. Wenn ich beispielsweise durch die Kunstschulen laufe, dann ist es schon gräßlich zu sehen, wie wenig sich Schwule und Lesben selbst präsentieren. Ich hätte gerne ein großes Umfeld interessanter Leute. Dann fühle ich mich wohler, als wenn ich nur von Spießern umgeben bin. Ich glaube, ich wäre ein geeigneter Professor, und wenn, dann strebe ich eine Privatschule an. Ich könnte Leuten Mut machen, radikale Themen anzufassen, politischer zu sein, sexueller zu arbeiten. Ich würde den Leuten vor allem Mut machen, sich selber ernst zu nehmen. Sie müßten erkennen, daß sie das Wichtigste auf der Welt sind, ihre Biographien. Ich denke, ich bin ein Voyeur und ein guter Dokumentarist.

Was stellst du dir für deine nächsten zehn Jahre vor?

Die vergehen so schnell, daß ich mir da gar nicht viel vorstellen kann. Ich plane einen Kannibalenfilm. Ich will einen Film über schwule Ausländer machen, möchte am Theater inszenieren und vor allen Dingen will ich politisch etwas tun. Ich möchte Kollegen und Kulturarbeiter dazu anregen, mehr Kultur und Kreativität in den Vorstädten und Wohnsilos – wo es so etwas kaum gibt – durchzusetzen. Dort, wo Jugendheime geschlossen werden und kein Geld mehr da ist und wo der Faschismus brütet. Wir könnten mit Prominenten dorthin gehen, auf Marktplätzen Feste machen, unsere Filme auf die Häuserwände projizieren. Wir müssen mit unseren Feinden in Diskussionen kommen. Ich würde gern mit Lotti Huber und einer schwarzen Darstellerin auf einen Provinzmarktplatz gehen, wo besonders viele Skinhaeds sind und sehen, wer uns zusammenschlägt. Heute ich als Schwuler, morgen Lotti usw. Es geht darum, daß wir alle da sind und ich hoffe, es gibt noch genug Leute, die auf unserer Seite sind.

Du beschreibst das Klima in Berlin als aggressiv und isolierend, dabei begegnest du doch ständig aktiven Leuten, auch solchen, die dir bei deiner Arbeit helfen und Ideen haben.

Vielleicht bin ich ja geschädigt durch den Vergleich mit New York. Dort ist die Lage insgesamt so schwierig, daß die Leute sich gegenseitig unterstützen, loben und aufbauen. Hier habe ich den Eindruck, daß jemand, der etwas macht, erst einmal ein Arschloch ist und beweisen muß, daß er toll ist. Man legt ihm möglichst viele Steine in den Weg. Das liegt auch an der deutschen Erziehung. Die Eltern vermitteln dir früh, daß du ein Stück Scheiße bist und erst beweisen mußt, daß du in der Lage bist, auch etwas Gutes zu machen. In Amerika werden die Leute von vorneherein anders aufgebaut. Man sagt ihnen: „Du bist der Schönste, du kannst Präsident werden“, und das hat auch Konsequenzen für den politischen Widerstand. Zum Beispiel sind eine Million Lesben und Schwule zu Clinton marschiert und haben ihn aufmerksam gemacht, daß er in der Aids-Krise Dinge umsetzen und konstruktiv handeln muß.

Warum bist du überhaupt aus N.Y. weggezogen?

Ich fahre ja immer wieder hin, aber was ich nicht mehr ausgehalten habe, war dauernd zu sehen, wie ständig Freunde und Bekannte um mich herum an Aids sterben. Das war einfach sehr schwer für mich und 89 der Grund, dort wegzugehen. Ich war erst kürzlich da und beeindruckt davon, daß Filmemacher und andere weiterarbeiten, trotz Rezession und der Aids- Krise.

Hast du schon einmal überlegt, konkret in die Politik einzusteigen, zum Beispiel eine Partei zu gründen?

Ich glaube, ich wäre der ungeeignetste Mensch dafür, weil ich total undiplomatisch bin und immer eine Außenseiter-, eine Protestrolle habe. Ich polarisiere sehr und habe ein großes Talent, Leute schnell gegen mich aufzubringen. Das mache ich sehr gern, und in der Politik ist so etwas nicht sehr günstig. Ich wünschte, Leute, die versuchen, sich stellvertretend für Schwule einzusetzen, könnten mehr anerkannt werden. Wir brauchen Leute, die sich für unsere Interessen einsetzen und damit meine ich alle Minderheiten und Leute, die sowieso Außenseiter sind. Leute, die kreativ sind und mehr Freiraum für ihre Persönlichkeit brauchen.

Wie schätzt du gegenwärtig das Verhältnis von lesben- und Schwulenbewegung ein?

Das ist leider immer noch sehr schwierig. In Amerika sind sich Schwule und Lesben durch die Aids-Krise wieder nähergekommen. Dagegen herrscht in Westberlin eine Kampfsituation.

Frauen werden leicht untergebuttert, und auch ein schwuler Mann ist als Mann erzogen und verhält sich Frauen gegenüber entsprechend.

Wie würdest du denn dein Verhältnis zu Frauen beschreiben?

Genauso. Ich bin als Mann erzogen und verhalte mich machohaft, auch ohne es zu wollen. Wenn die Frauen nicht gerade starke Persönlichkeiten sind, sind sie eher bereit, sich unterzuordnen, und ein Mann hat das immer ganz gern.

Abschließend: Wenn du drei Wünsche frei hättest, was würdest du dir wünschen?

Ich würde mir wünschen, daß ich das Leben mehr genießen kann – daß ich mich besser konzentrieren kann – und daß ich gute Freunde finde, mit denen ich Spaß haben kann, zusammen arbeiten kann, und mit denen ich kämpferisch zusammenleben kann.

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