Sanssouci: Vorschlag
■ Kunsthandwerk des samischen Volkes
Mit ihren Zeichen und Ziffern, ihrer Einteilung in verschiedene Felder erinnert es an ein Himmel-und-Hölle-Spiel. Tatsächlich entscheiden sich Schicksale auf diesem kleinen Oval aus Rentierhaut. Wenn der Schamane, der noaidi, ein Hornstück darauflegt und mit einem Hammer auf das gespannte Fell der Trommel schlägt, dann wandert der „Zeiger“ auf den Feldern und deutet die Zukunft. Allerdings wenden sich die sami – so nennen sich die Lappen selbst – nur in ganz schwierigen Fällen an den Schamanen. Jedes Familienmitglied besitzt für den Hausgebrauch eine eigene Trommel, deren Figurenornamentik eine komplette Weltanschauung enthält.
Eine kleine Ausstellung im Museum für Vor- und Frühgeschichte präsentiert das Unabdingbare des täglichen Lebens einer Kultur am nördlichen Rande Europas. Körbe aus Wurzelgeflecht und Löffel aus Horn oder Knochen, ein Topf für Rentiermilch aus geschälter Baumrinde, der aussieht wie ein Butterfaß. Der Hauptraum bietet vor allem zeitgenössisches Kunsthandwerk: das gakti, die typische, einem Kaftan nicht unähnliche blaue Tracht mit ihren roten Bordüren. Und natürlich das Messer, Statussymbol und Allzweckgerät. Duoddji nennt sich „alles, was liebevoll und von geschickten Händen gemacht wird“, und zeigt die Verwurzelung in der Tradition.
Ungefähr 70.000 Menschen zählen sich zur ethnischen Minorität der sami in den Ländern Norwegen, Schweden, Finnland und auf der russischen Kola-Halbinsel, aber nur noch 10% leben von der traditionellen Rentierzucht, während die sonstige Erwerbstätigkeit die allgemeinen Verhältnisse in Skandinavien widerspiegelt. Seit den sechziger Jahren, seit ihre Kultur von den nordischen Staaten offiziell anerkannt und das Samische als Unterrichtssprache zugelassen wurde, treten die sami selbstbewußter auf. Politisch kam die Wende mit dem – freilich erfolglosen – Protest gegen ein gewaltiges Staudammprojekt in norwegischen Alta 1980/81. Inzwischen werden die Rentierherden mit dem Motorschlitten zusammengetrieben. Das „Dálvadis“-Theater spielt Brecht und Lorca, der Filmemacher Nils Gaup bedient sich des Action-Kinos, die Sängerin Mari Boine Persson tritt mit Peter Gabriel und Jan Garbarek auf, und der Schriftsteller Nils Aslak Valkeapää bekam den renommiertesten Literaturpreis Skandinaviens.
Genau das ist die Crux der Ausstellung, die immerhin „aus Anlaß des UNO-Jahres der indigenen Völker 1993“ stattfindet. Im museumspädagogischen Präsens schreibt sie das romantische Bild des polaren Nomaden fort und betreibt Kulturtourismus aus der wohltemperierten Ferne. Primitiv bleibt eben primitiv, und Schneeschuh bleibt Schneeschuh, das reicht bestenfalls zum Kunsthandwerk. Aber hübsch pittoresk ist es schon. Thomas Fechner-Smarsly
Noch bis zum 8.8. im Museum für Vor- und Frühgeschichte. Schloß Charlottenburg, Mo–Do 9–17, Sa–So 10–17.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen