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„Die Wahrheit? Muß ich überlegen ...“

Der Prozeß gegen zwei der Brandstiftung in der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen angeklagte Skins verheddert sich in widersprüchlichen Aussagen und schlampigen Ermittlungen  ■ Aus Potsdam Anja Sprogies

Mit der Wahrheit nimmt es Richter Pzybilla sehr genau. „Helfen Sie uns, die Wahrheit zu finden“, bittet er nun schon seit fünf Prozeßtagen die beiden mutmaßlichen Brandstifter der KZ-Gedenkstätte Sachsenhausen. Im Eifer wird Pzybilla auch deftiger: „Herr K., jetzt müssen Sie die Hosen aber runterlassen.“ Bei einer offensichtlichen Lüge kann der Richter vom Potsdamer Bezirksgericht so richtig wütend werden. „Jetzt geht mir aber gleich das Messer in der Tasche auf.“ Doch was ist die Wahrheit? Wer hat die Baracke 38 im ehemaligen KZ am 26. September vergangenen Jahres angezündet? Auch nach dem gestrigen fünften Verhandlungstag läßt sich darüber nur spekulieren.

Der Angeklagte Thomas H., ein 22jähriger Reichsbahner aus Prenzlau, der in der Freizeit Eisenbahn-Videos guckt, im Urlaub Deutschlands Schmalspurstrecken abfährt und Aufkleber der verbotenen „Nationalistischen Front“ im Kleiderschrank verbirgt, gestand im Polizeiverhör, den Brandanschlag begangen zu haben. Jetzt will er damit nichts mehr zu tun haben. Er erinnert sich nicht einmal mehr, was er am Tatabend gemacht hat.

Ist die Wahrheit vielleicht von Tag zu Tag verschieden, wie beim Sonderschüler Ingo K. (19), dem anderen Angeklagten, der an jedem Prozeßtag eine neue Aussage macht? Der stotternd von sich gibt, „Ich bin der Meinung, daß ich mit dem Brandanschlag nichts zu tun habe.“ Von dem selbst seine Freundin behauptet, er sei zu doof für so etwas. Ingo K. beteuert, er sei nicht rechts. Auf seinem Oberarm prangt nur ein Reichsadler mit Hakenkreuz. Der Richter läßt es sich zeigen.

Oder bringt etwa der einzige Belastungszeuge, Burkhardt W., die Wahrheit? Nein, denn der kriegt vor Gericht kein Wort heraus. Er kann den Fragen des Richters nicht folgen. Seine polizeiliche Aussage wird ihm vorgelesen. Der Zeuge will demnach gesehen haben, wie die beiden Angeklagten zusammen mit 20 anderen Skins nach Sachsenhausen fuhren. Mit dem Ziel, dort „Randale“ zu machen. „Ist das die Wahrheit“, fragt Richter Pzybilla. „Muß ich überlegen“, antwortet der Zeuge. „Warum haben Sie die Aussage gemacht?“ Der Zeuge: „Kann ich nicht sagen.“ Der Staatsanwalt: „Haben Sie nun gestern vor der Polizei die Wahrheit gesagt oder nicht?“ Langes Schweigen. „Haben Sie die Frage verstanden? Soll ich sie wiederholen?“ Schweigen. Ein leises „Ich habe gesponnen“ folgt. „Sie haben also vor der Polizei nicht die Wahrheit gesagt.“ Zögern. „Ich weiß nicht, vielleicht doch.“

Es ist schwierig, die Wahrheit herauszufinden, in einem Prozeß, in dem sich Dummheit, Rechtsradikalität und Verstocktheit zur Prenzlauer Säufer-Melange verbunden haben. Noch schwieriger wird die Sache aber, wenn dazu noch die Unfähigkeit der brandenburgischen Polizei und Staatsanwaltschaft kommt. Dann nämlich droht ein Prozeß, der auch dem Ansehen Deutschlands insbesondere in Israel schaden kann, vollends im Chaos zu versinken.

Als „Schlamperei“ bezeichnete es Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, daß erst drei Tage nach dem Brandanschlag ein Sachverständiger hinzugezogen wurde, um die Brandursache zu erforschen. Der Brandsachverständige schloß in seinem Gutachten eindeutig aus, daß der Anschlag mit Molotow-Cocktails verübt worden sei. Davon aber war die Staatsanwaltschaft bei der Anklageerhebung ausgegangen, obgleich ihr das Gutachten schon seit Monaten vorgelegen hatte. Und schließlich wurde ein Staatsanwalt eingesetzt, der überhaupt nicht mit dem Fall vertraut war. Der ermittelnde Staatsanwalt entschwand kurz vor dem Prozeß in Urlaub.

Das Gerichtsverfahren war ursprünglich auf drei Tage angesetzt. Nun, nach dem fünften Verhandlungstag, ist das Ende noch immer nicht abzusehen. Beide Angeklagten bleiben dabei, nichts mit der Tat zu tun zu haben. Ingo K. hat jetzt sogar ein Alibi für den fraglichen Abend. Seine Freundin beeidete, er sei zu einer Geburtstagsfeier bei ihr zu Hause gewesen.

Es ist seine dritte Version und keiner weiß, ob sie stimmt. Thomas H. kann sich an nichts mehr erinnern.

Die vom Staatsanwalt nachträglich angeschleppten Zeugen, Nazi- Kumpels mit Bomberjacke und Springerstiefeln aus der Prenzlauer Szene, wissen nichts, haben nichts gesehen und nichts gehört. Vor Gericht geben sie brav an, sich über ihre Aussage nicht abgesprochen zu haben. Sie trinken vor dem Gerichtssaal Apfelkorn und singen – wenn auch leise – deutschnationale, völkische Lieder. Sie haben etwas gegen Wirtschaftsflüchtlinge und sind „stolz auf mein Vaterland“. Nur einer schwärzte gestern Thomas H. an: „Wir waren dabei“, soll er wenige Wochen nach der Tat geprahlt haben.

Ein Vertreter des Zentralrates der Juden, Peter Fischer, sitzt als Beobachter im Gerichtssaal. Denn in Sachsenhausen geht es nicht um irgendeine Baracke, sondern eine der wichtigsten Erinnerungsstätten des Judenmordes in Deutschland. Fischer wird später dem Zentralrat, Freunden und Bekannten berichten, was sich im Gerichtssaal abgespielt hat. Und die werden ihre Schlüsse ziehen.

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