piwik no script img

Maulkorb für das „schreckliche Mädchen“

■ Gericht untersagt Passauer Historikerin Anna Rosmus Vorwürfe gegen verstorbenen Arzt / Rechtsanwalt: Richter haben „einiges mißverstanden“

Passau (AFP/dpa) – Das Landgericht Passau hat am Donnerstag der Geschichtsstudentin Anna Rosmus untersagt, Vorwürfe gegen einen 1965 verstorbenen Arzt wegen dessen Verhaltens während der NS-Zeit aufrechtzuerhalten. Die 33jährige Frau aus Passau, die sich seit ihrer Schulzeit mit der Nazi-Vergangenheit ihrer Heimatstadt beschäftigt und als „Das schreckliche Mädchen“ auch Titelfigur eines Films war, hatte den Mediziner in mehreren Interviews beschuldigt, an rund 220 osteuropäischen Zwangsarbeiterinnen Abtreibungen vorgenommen zu haben. In Einzelfällen habe er auch ohne Narkose gearbeitet. Sollte Rosmus das Verbot mißachten, droht ihr ein Ordnungsgeld von bis zu 500.000 Mark oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten. Sie will in den nächsten Tagen entscheiden, ob sie beim Oberlandesgericht München Berufung einlegt.

In den vom Gericht zitierten Beschuldigungen heißt es unter anderem: „Das Kind wurde im lebensfähigen Zustand, also im achten, im neunten Monat, stückchenweise herausgeschnitten aus dem Körper der Mutter (...) – das Ganze ohne Narkose –, so daß die Mütter möglichst viel zu leiden hatten.“ Auf Veranlassung der Witwe sowie der Kinder des Arztes verbot Richter Walter Zimmermann die Wiederholung der Äußerungen. Entsprechende Passagen in Rosmus' neuem Buch „Wintergrün – verdrängte Morde“ müssen geschwärzt werden. Rosmus sei es nicht gelungen, mit Hilfe der von ihr vorgelegten Unterlagen die umstrittenen Behauptungen zu beweisen.

Nach Auffassung des Gerichts verletzen die schweren Beschuldigungen auch nach dem Tod des Arztes den „postmortalen Persönlichkeitsschutz“ des Betroffenen. Zwar bewiesen amerikanische Verhörprotokolle nach dem Krieg, daß der Arzt 1945 mangels der geeigneten Mittel ohne Narkose abgetrieben habe. Daß er aber lebensfähige Kinder im achten oder neunten Monat im Mutterleib regelrecht zerstückelt habe, gehe daraus nicht hervor.

„Erstaunt“ über das Urteil zeigte sich Rosmus' Anwalt Andreas Herrmann. Seine Mandantin sei von den Medien falsch zitiert worden. Deshalb sei auch Rosmus' neues Buch von dem Urteil nicht berührt. Der Vorwurf, der Arzt habe ein Kind im achten oder neunten Monat ohne Narkose im Mutterleib zerstückelt, sei darin gar nicht enthalten. Offenbar sei vom Gericht „einiges mißverstanden“ worden. Rosmus selbst sagte nach dem Urteil ebenfalls, daß sie in „Wintergrün“ keine Passagen einschwärzen oder unkenntlich machen müsse, da die fraglichen Passagen gar nicht in ihm enthalten seien.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen