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Juliane ist kein Schwiegersohn

■ Es "bartelt" durch alle Kanäle: zum Beispiel bei "Talk täglich", 15.30 Uhr, im Ersten Programm

„Ich wußte gar nicht, was in den letzten vier Jahren auf meinem Kopf passiert ist“, staunt Juliane Bartel über ihr wechselndes Outfit als Moderatorin bei der Talk-Show „III nach neun“ (N 3), kürzlich zu begutachten beim Sommerloch- Zusammenschnitt verschiedener Talk-Runden. Ihr Kommentar ist typisch: trocken und treffend.

Im Augenblick „bartelt“ es mit streng nach hinten gekämmtem Zopf durch alle TV-Kanäle der öffentlich-rechtlichen Anstalten, denn seit März 1993 moderiert sie neben der Berliner Gesprächsrunde „Alex“ (SFB) auch „Talk täglich“ (ARD). Tatsächlich wird sich aber nur dreimal in der Woche unterhalten: dienstags, mittwochs und donnerstags. 1989 wurde die „Low-Budget-Gesprächssendung“ (O-Ton ARD) das erste Mal im Vorabendprogramm des Ersten plaziert, mit wechselnden Redaktionen und Moderatoren. Dieses Jahr ist bis Oktober der SFB an der Reihe. Im Zwei-Wochen-Rhythmus teilen sich Juliane Bartel und Kollege Hermann Stange live die Gastgeberrolle.

„Ein Juwel“ von Sendung, lobt Juliane Bartel: „Hier kann ich mich mal in Ruhe eine halbe Stunde mit einem Menschen austoben – sonst muß ja bei den Medien alles Hopplahopp gehen.“ Mit „hochkarätigen“ Gästen wirbt die Presseinformation. Doch die Namensliste liest sich wie ein „Who is Who“ aus Talk-Touristen und Kollegen: mit dabei Brillenkauer Erich Böhme („Talk im Turm“), Ex-Goldfisch und ZDF-Moderatorin Kristin Otto oder Lachkrampf Heinz Rennhack. Woran liegt's? „Ganz klar“, sagt Juliane Bartel, „das ist werbetechnisch und ARD-mäßig.“ Läuft am Abend der „Scheibenwischer“, sind vier Stunden vorher Werner Schneyder und Dieter Hildebrandt dran.

Im Gespräch ignoriert sie sämtliche Interviewleitfäden der Branche. Während die Schwiegersöhne Günther Jauch und Roger Willemsen lehrbuchmäßig nach Subjekt, Prädikat, Objekt suchen, haut Juliane Bartel auf den Tisch und bremst die Hippel-Quasselstrippe Hildebrandt mit dem Zwischenruf: „Tot, tot, tot!“ (Es wird um die Realsatire gestritten) – oder fragt einfach verquast drauflos. Erich Böhme gesteht Juliane Bartel respektvoll, daß sie ein bißchen „innerlich zittert“ vor ihrem Gast. Von Heinz Rennhack will sie wissen, ob es „kleinen Männern was macht, daß da einige Zentimeter fehlen?“ Ebenso locker geht ihr des öfteren suggestiv über die Lippen: „Ist es nicht aber so...?“ Anstatt auf sorgfälig sortierte Karteikarten zu starren, wird das Gegenüber durch variantenreiches Mienenspiel in ihren Bann gezogen. Mit schräggestellten Brauen, schelmischem Lächeln, ungläubigem Augenaufreißen oder aber skeptisch gefältelter Stirn gewinnt sie Sympathie.

Bei Juliane Bartel wird nicht gestelzt getalkt, sondern sich schlicht und ergreifend unterhalten. Trotzdem bleibt sie neugierig nachhakend am Thema, demonstriert fundiertes Hintergrundwissen, egal ob es um die Euro-Banane oder die „unplugged“-Masche geht – und die Gäste danken es ihr. Der Beweis: Irgwendwann im Laufe der Sendung kommt es zum Höhepunkt, dem Bartel-Härte-Test. Es reicht ein schmeichelndes, aber bestimmtes „Oooooch bitte“, dann rockt eine bislang reservierte Inga Rumpf fingerschnippend ein paar Takte ins Mikro, oder Heinz Rennhack ergreift Juliane Bartels Hand und schmettert ein italienisches Duett.

Ein anderer Grund für die lange VIP-Gästeliste ist die sinkende Quotenkurve. „Am Anfang, als die Staffel losging, waren wir alle der Meinung, wir laden nur Nobodies ein“, gibt Bartel unumwunden zu. Damit wurde das Etappenziel – rund 400.000 ZuschauerInnen – jedoch nicht erreicht. „Familienfreundliche Brücke zum Abendprogramm“ will „Talk täglich“ sein. Ein Anachronismus! Wie stellt sich Juliane Bartel das Phantom draußen vor dem Bildschirm vor? „Alle Menschen, die nicht arbeiten, die bügelnde Hausfrau (Hausmann) oder Singles, wo der Fernseher immer läuft.“ Eigentlich sei „Talk täglich“ eine „abgefilmte Radiosendung. Wenn man einmal hinguckt, weiß man ja, wie wir aussehen, und kann weiter Kartoffeln schälen.“ Doch Bügeleisen und Schälmesser scheinen aus der Mode gekommen zu sein. Zusätzlich ist „Talk täglich“ in den Sog der Umlaufbahn von „Raumschiff Enterprise“ (15.45 Uhr: Sat.1, 16.09 Uhr: ZDF) geraten und kräftig kollidiert. Die Unfalldiagnose der Programmverantwortlichen lautet: Totalschaden. Ab Oktober wird „Talk täglich“ abgeschaltet. Hinter vorgehaltener Mattscheibe bastelt die ARD bereits an einem konkurrenzfähigen, komplett neuen Nachmittagsprogramm für 1994. Bis dahin ist als Ersatz Flickwerk aus Altbewährtem geplant. Ab Januar soll dann eine Interviewsendung mit Feature-Elementen (Arbeitstitel: „Menschen '94“) beginnen. „Spiegel-TV-Interview“ läßt grüßen!

Wäre denn Juliane Bartel bereit, bei den Privaten zu talken? „Wenn ich machen kann, was ich will, und man mir das Gehalt ,Schreinemakers hoch drei‘ bietet, denke ich nicht lange nach.“ Am liebsten würde sie jedoch „Talk täglich“ auf Mitternacht verschieben, „mit mehr Anspruch und intellektueller“. Sie kann nachmittags nicht so aggressiv sein: „Da ist mein Biorhythmus anders!“

Heute sind die Gäste zwei „Unbekannte“: Fotograf Thomas Böhme und DRK-Mitarbeiter Horst Hamborg sprechen mit Juliane Bartel über ihre Arbeit in Somalia – getreu dem Motto: Ist die Quote ruiniert, talkt sich's gänzlich ungeniert! Caroline Schmidt-Gross

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